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tiefes wissen

Hier lesen Sie Geschichten der Heilung und des inneren Wachstums. Es sind erlebte Erzählungen von Menschen, die in ihre Tiefenimagination gereist sind und von den Wesen ihrer inneren Bilderwelt durch Wachstumsprozesse begleitet wurden. Lassen Sie sich berühren von der Vielfalt und Tiefe der hier geteilten Geschichten. Vielleicht wecken sie in Ihnen den Abenteuergeist, selbst auch einmal den Blick nach innen zu richten und auf die Reise zu gehen…

12. November 2015

Eine Welt, die sich selbst erschafft

Reise vom 15. April 08

Ich bin am See, dem Ort meines Herzens. Schon oft bin ich an diesem inneren Platz gewesen, der mir mit seiner smaragdgrünen Farbe wohl vertraut ist. Im Baum neben dem See sitzt der schwarze Vogel, darunter das weiße Pferd aus dem Herzchakra. Das Bild von gestern, die Eisschicht, die über dem See lag, kommt mir nun wie ein Traum vor. Und doch ist der schwarze Vogel der Beweis, dass es kein Traum ist.

© Anne Romby

„Ich freue mich, dass du da bist“ rufe ich zu ihm hinauf – und da fliegt er auch schon aus der Baumkrone hinunter und setzt sich auf den Rücken des Pferdes.
„Wie geht es dir?“ fragt er und ich sage ihm, wie dankbar ich für alles bin, was gestern passiert ist. Am allermeisten dafür, dass er für mich da war und mich in meiner großen Not beschützt hat. Ich bin neugierig, mehr über ihn zu erfahren.
„Du kennst mich schon so lange, aber du hast es vergessen“, sagt er.
„Kannst du mir sagen, was ich vergessen habe?“ frage ich ihn,
„Komm ganz nah zu mir und schau mein Gefieder ganz genau an.“
Ich sehe blau schwarz glänzende Federn mit starken, dicken Kielen. Vorsichtig berühre ich sie und spüre, wie weich sein Gefieder ist.
„Erinnert dich das an etwas?“ fragt er mich.

Da sehe ich einen Konzertflügel, auf dem ein Zylinder und ein Stock liegen. Der Flügel steht in einem großen Raum mit hohen Fenstern und kostbaren Teppichen am Boden. Ich schaue mich um und denke, dass das nur ein Schloss sein kann. In einer Fensternische steht ein imposanter Gold verzierter Schreibtisch. Auf ihm sitzt eine weiße Angorakatze. Als ich mich ihr nähere, entdecke ich, dass sie ein blaues und ein grünes Auge hat. Behutsam lasse ich mich beschnuppern. Als sie mit ihrem Kopf meine Hand anstupst, streichle ich sie und frage: „Wo bin ich?“
„Das ist dein Schloss!“ antwortet sie. Ungläubig zeige ich auf den Zylinder und sage, dass der viel zu groß für mich ist.
„Sag mir, wem er gehört!“ fordere ich sie auf.
Da blickt sie mich an, als wolle sie abschätzen, ob ich vertrauenswürdig genug bin, diese Information zu bekommen. Sie deutet auf den offenen Kamin, der von Bücherregalen umringt ist. Als ich hingehe, sehe ich, dass auf dem Sims viele Bilderrahmen mit alten Fotografie stehen. Ein Mann in Uniform, ein Hund, der einen Ball im Maul hält, zwei kleine Mädchen und eine lachende Frau.
„Wer sind all diese Menschen?“ frage ich die Katze.
„Das sind meine Menschen!“ antwortet sie mit Stolz geschwellter Brust.
„Und was habe ich hier zu suchen?“
„Das weiß ich auch nicht. Aber dein Besuch wurde mir angekündigt.“

Als ich merke, dass sie nicht weiter mit mir spricht, gehe ich zu dem Flügel und setze mich hin. Ein geöffnetes Notenblatt liegt in der Halterung. ‘Mondscheinsonate’ von Ludwig van Beethoven. Es gibt mir einen Stich im Herzen, als ich den Titel lese. Vorsichtig berühre ich die Tasten mit den Fingern, traue mich aber nicht, sie herunter zu drücken und Töne zu erzeugen. Ein komisches Gefühl überkommt mich, ein Gefühl, Eindringling zu sein. Ich lasse meine Hände wieder sinken,  nehme den Zylinder und setze ihn auf, obwohl er mir ein Stück in die Stirn rutscht. Auch den Stock mit dem Silberknauf nehme ich in die Hand - und da verwandelt sich die Szenerie und ich befinde mich auf einer Bühne eines Nachtklubs. Scheinwerferlicht ist auf mich gerichtet.
Ich sehe mich tanzen mit Stock und Zylinder, doch die Musik hört sich eigenartig an. Sie hallt als wäre das kein Raum in einem Klub sondern eine Höhle. Alles wirkt sehr unwirklich.

Der Zuschauerraum ist halb verdunkelt, von den vielen Menschen im Raum sehe ich nur Silhouetten und kann keine Gesichter erkennen. Der Hall verstärkt sich, und plötzlich fallen alle Schattenmenschen um. Da erkenne ich, dass es keine echten Menschen waren sondern nur Pappkartons. Als nächstes stürzen auch die Wände ein wie Kulissen.

Ich stehe immer noch mitten auf der Bühne, der Spot auf mir, rundherum Dunkelheit und Stille. Die Musik hat aufgehört zu spielen. Der Silberknauf des Stockes, den ich immer noch in der Hand halte, hat sich in einen Totenkopf verwandelt.
„Willkommen im Reich der Träume!“ ruft er laut im Tonfall eines Zirkusdirektors. „Zeige mit mir an einen bestimmen Punkt im Raum, und was immer du dir wünschst, wird sich dort manifestieren.“
Das will ich ausprobieren. Ich deute links von mir und wünsche mir eine blühende Wiese mit blauem Himmel und Vogelgezwitscher. Augenblicklich manifestiert sich mein Wunsch in diesem sonderbaren Raum.
„Siehst du, so einfach ist das“, tönt es aus dem Totenkopf.
Dann deute ich zu einer anderen Stelle und wünsche mir ein Rudel Wölfe bei Vollmond, und gleich darauf erscheinen sie. Als nächstes wünsche ich mir einen riesigen Kuchen auf einem silbernen Tablett, und auch dieser erscheint in einem Augenblick. Die ganze Zeit über beobachte ich das Gesicht des Totenkopfes, das mich höhnisch anschaut.
„Und das ist erst der Anfang!“ ruft er mir entgegen und lacht schallend.
Ich werde ärgerlich und sage ihm: „Das alles ist nicht neu für mich. All das habe ich schon erlebt. Ich weiß, dass das, was ich mir vorstelle, wahr wird. Das ist nicht das Land der Träume sondern das Leben.“
„Bravo! Der Kandidat hat hundert Punkte!“ dröhnt es vom Totenkopf.
Voller Zorn schreie ich ihn an: „Ich habe nicht so viel Zeit und wüsste gerne, worum es hier geht!“
Da verfinstert sich seine Miene und mit einem kurzen Wink lässt er alles, was ich gerade erschaffen habe, wieder verschwinden. Er beginnt, unbändig zu lachen. Und sein Lachen wird immer lauter, schallend. Und wieder meine ich in einer Höhle zu sein. Der Stab ist zu einem Skelett geworden. Das Skelett läuft im Kreis und lacht immer hysterischer. Es wirkt wie unter Drogen. Unermüdlich läuft es immer schneller im Kreis und lacht ein künstliches, überdrehtes Lachen. Ich warte nur darauf, dass es zusammenbricht. Entgegen meiner Erwartung wird es aber langsamer und verwandelt sich in ein riesiges Insekt. Aus unendlich traurigen Augen blickt es mich an. Es ist dünn und ausgezehrt. Die Flügel hängen an seinen Seiten herunter. „Ich brauche Hilfe!“ flüstert es mit letzter Kraft.
Ich nehme es zu mir. Es legt sich in meine Arme, wo es völlig erschöpft in sich zusammenfällt und sich in ein neugeborenes Fohlen verwandelt. Sein Fell ist ganz nass, und ich spüre sein Zittern, als ich über seinen Körper streichle. Es ist so zart.

© Paul Knight

Da bin ich wieder am See. Die weiße Stute aus meinem Herzen kommt zu uns und begrüßt das Fohlen, indem sie ihm über den Kopf schleckt. Der schwarze Vogel streicht mit seinen Flügeln über den Körper des Fohlens. Es fühlt sich an, als würde die Zeit stehenbleiben und eine Welt neu entstehen. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit zu diesen drei Tieren ohne zu wissen oder zu verstehen, wer sie sind und warum sie da sind. Alles, was zählt, ist, dass sie zu mir gehören. Wie eine Familie. Das Fohlen ist sehr zart und zerbrechlich, und die Stute und der Vogel behüten es, als wären sie seine Eltern.
„Ich heiße dich willkommen auf dieser Welt!“ sage ich zu dem Fohlen. „Ich freue mich, dass du da bist. Du bist ein so vollkommenes Wesen, so wunderschön.“

Im Schatten des Baumes hat sich eine Mulde gebildet, die mit frischem Heu ausgelegt ist. Das Fohlen legt sich hinein und ich knie mich zu ihm, streichle über sein Fell und lege meinen Kopf nah zu seinem Gesicht, spüre sein Fell an meiner Wange. Eine tiefe Liebe verbindet uns, und es dauert nicht lange, bis ich mich zu dem Fohlen in die Heumulde liege. Das Pferd und der Vogel stehen über uns wie wohlwollende Eltern, und ich fühle mich sehr geborgen.
Die Präsenz des schwarzen Vogels tut mir so gut. Er verkörpert für mich Schutz, Stärke und Klarheit und erlaubt mir, mich ganz in dieses Gefühl der Liebe fallen zu lassen.

Das Fohlen neben mir fühlt sich zart und weich an. Seine Nüstern vibrieren hoch empfindlich, und es scheint mir wie ein kleines Wunder, dass so etwas überhaupt möglich ist. Mit seinen dunkelbraunen Augen, die von langen Samt schwarzen Wimpern umgeben sind, schaut es mir direkt ins Herz. Langsam werde ich kleiner, jünger, bis ich ein Baby bin und mit meinen kleinen Fingern den Flaum der Nüstern des Fohlens berühre. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, so als wäre es meine Mama.

In jeder meiner Zellen steckt noch die schmerzhafte Erinnerung, dieses Gefühl die liebende Berührung einer wohlwollenden Mutter nie erfahren zu haben. Und nun bin  ich hier, an diesem Ort und spüre, es gibt sie. Ich habe eine Mama. Tränen der Erlösung laufen über meine Wangen, und wieder und wieder kuschle ich mich eng an das warme Fohlen. Die Liebe ist immer da.

Gleichzeitig beginnen wir, zu wachsen und werden größer, bis wir nebeneinander stehen. Aus dem Fohlen ist eine große braune Stute mit blonder Mähne geworden. Liebevoll schaut sie auf mich herunter. Und auch die Blicke von Pferd und Vogel ruhen auf mir. Ich bin umringt von Liebe.

Auf dem See sind Seerosen gewachsen. Unzählige Blüten bedecken die Hälfte des Sees. Es ist, als wären sie das vierte Geschöpf, das in dieser neu entstandenen Welt erschaffen wurde. Das Produkt unserer Liebe, geboren aus der Tiefe.

Es ist eine so junge Welt. Sie braucht viel Achtsamkeit, weil alles, was von mir gespürt oder genährt wird, Neues erschafft. Ich kann dieses zarte, energetische Gewebe spüren, das mich mit allem verbindet. Es steht in einem krassen Gegensatz zu dem Manifestieren, das mir der Totenkopf gezeigt hatte. Eine völlig andere Qualität. Eine aus sich heraus entstehende Energieform, die nicht vorhersagbar oder bestimmbar, jedoch eng verknüpft mit dem vorangehenden Moment ist. Eine Welt, die sich selbst erschafft. Ich kann es kaum glauben, dass ich Teil davon bin.

Da nickt mir der schwarze Vogel zu, als wäre er der Beweis dafür, dass es wahr ist. Er war bei mir, als ein unaussprechlicher Schmerz mich durchflutet hat, das Unaushaltbare mich fast umgebracht hat.

Ich bin nackt, und lasse mich in den See gleiten. Zwischen den Seerosenblüten liege ich auf der Wasseroberfläche.
„Komm so oft wie möglich hierher zurück“, sagt der Vogel. „Sonst gibt es nichts zu tun. Komm hier her und spüre die Liebe.“

Dankbar lasse ich mich vom Wasser des Seerosenteichs sanft tragen und weiß: Es gibt keinen Abschied. Es bleibt.

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