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tiefes wissen

Hier lesen Sie Geschichten der Heilung und des inneren Wachstums. Es sind erlebte Erzählungen von Menschen, die in ihre Tiefenimagination gereist sind und von den Wesen ihrer inneren Bilderwelt durch Wachstumsprozesse begleitet wurden. Lassen Sie sich berühren von der Vielfalt und Tiefe der hier geteilten Geschichten. Vielleicht wecken sie in Ihnen den Abenteuergeist, selbst auch einmal den Blick nach innen zu richten und auf die Reise zu gehen…

4. Dezember 2015

Der schwarze Wolf

Ich treffe den Wolf auf mehreren Reisen zwischen Juni und August 2015. Das gesamte Jahr 2015 über denke ich über berufliche Veränderungen nach, spiele die unterschiedlichsten Varianten durch, aber im letzten Moment gibt es immer etwas, das einen Ausbildungsbeginn oder eine andere Veränderung verhindert. Stattdessen begebe ich mich in Jobsituationen, die mich mehr und mehr von allem abschneiden, das mich ausmacht. Ich bin völlig frustriert und desillusioniert. Da begegnet mir der schwarze Wolf.

~Juni~
Ein schwarzer Wolf mit durchdringenden gelben Augen sitzt hinter einem Zaun. Der Wolf ist ziemlich frustriert und aggressiv, weil er eingesperrt ist. Er möchte gerne hinaus, kann aber nur hinter den Gitterstäben sitzen, das macht ihn fast wahnsinnig. Sein Gemütszustand spiegelt sich auch in seiner äußeren Erscheinung wider: Er ist groß, aber sehr mager, sein Fell ist stumpf, fast räudig. Trotzdem, wenn ich ihn anschaue, erhasche ich immer wieder einen Blick auf sein wahres Selbst - ich sehe den wunderschönen, starken, großen Wolf, der er eigentlich ist. Ich sehe ihn in seiner vollen Kraft, mit leuchtenden Augen, vital, mit glänzendem schwarzen Fell. Es macht mich traurig, ein so schönes Tier als Schatten seiner selbst zu sehen.
Jetzt bin ich gemeinsam mit dem Wolf hinter dem Zaun. Ich schaue mich um, hinter dem Zaun erstreckt sich eine unendliche Weite, bis zum Horizont ist keine Begrenzung zu sehen. Ich frage den Wolf, was ich für ihn tun kann. Er möchte nicht mehr eingesperrt sein, möchte seinen Weg gehen können. Aber der Zaun ist im Weg. Also schlage ich vor, es doch in der entgegengesetzten Richtung zu versuchen. Dort scheint es keinen Zaun zu geben. Aber der Wolf will nicht. Er möchte in die andere Richtung.
Als ich mich wieder zum Zaun drehe, fällt mir auf, dass dieser eigentlich kein Hindernis darstellt. Er ist nach links und rechts jeweils bloß ein paar Meter lang, es gibt keine Seitenteile, man kann also ganz einfach darum herumgehen und steht auf der anderen Seite. Als ich den Wolf darauf aufmerksam mache, schnaubt er nur verächtlich. Er will nicht um den Zaun herumgehen müssen, er will genau da ungehindert gehen können, wo der Zaun im Weg ist. Dort, genau dort, ist sein Weg. Natürlich könnte er um den Zaun herumgehen, aber er sieht nicht ein, warum er das tun sollte. Er findet es ganz und gar nicht fair, dass er einen Umweg machen sollte. Außerdem wäre es mit dem Umweg nicht mehr genau der Weg, den er gehen möchte.
Von ihm geht unglaublich viel negative Energie aus, auch mich zieht er damit hinunter. Jeder Vorschlag von mir wird abgeschmettert, er ist sehr zynisch. Ich habe den Eindruck, dass er im Grunde gar keine Hilfe will und gebe frustriert auf. Das macht mich gleichzeitig auch sehr traurig, weil ich den Wolf an sich mag, ich habe ihn vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen und würde ihn gerne in seiner ganzen Pracht erstrahlen sehen.

Ein paar Tage später treffe ich ihn nochmal. Er ist inzwischen doch um den Zaun herumgegangen. Ich freue mich riesig für ihn. Ich frage ihn, wo er jetzt hin möchte. Da ist ein Wald, in dem er gerne leben würde, wo er sich zu Hause fühlt. Er weiß, dass er dort hingehört, er kann ihn in seinem Herzen sehen. Aber er weiß nicht, wie er dort hinkommen kann. Ich glaube, wenn er den Ort kennt, wo er hingehört, wird er automatisch den Weg dorthin finden. Er muss nur aufbrechen und gehen. Aber sicherheitshalber schlage ich vor, die Eule zu rufen. Vielleicht kann sie aus der Luft einen solchen Wald sehen. Und tatsächlich gibt es ihn, allerdings in weiter Ferne. Die Eule zeigt uns die Richtung und mein wunderbarer Wolf läuft los.

~Juli~
Der schwarze Wolf sitzt mitten in einer Ebene. Der Zaun ist nicht mehr zu sehen, er muss also schon ein gutes Stück Weg zurückgelegt haben. Mein Wolf wirkt sehr niedergeschlagen und mutlos. Als ich nachfrage, sagt er, dass er sich völlig verloren fühlt. Um ihn herum ist nichts als grenzenlose Weite, er will da nicht sein. Er hat keinen Schutz, fühlt sich ausgeliefert. Sosehr er sich auch nach der Freiheit gesehnt hat, so hat er sich das nicht vorgestellt. Er hätte gerne einen Weg, den er sehen kann und ein sicheres Ziel. Ich frage ihn, was mit dem Wald ist, zu dem er unterwegs war. Er schüttelt nur traurig den Kopf und sagt, Was, wenn es den Wald gar nicht gibt? Wenn er Kilometer um Kilometer läuft, aber nie hinkommt? Immerhin gibt es nichtmal einen Weg dorthin, nur eine ungefähre Richtung. Er sagt, er hätte den Zaun nicht verlassen sollen. Da war er zwar nicht glücklich, aber er wusste wenigstens, wo er war, er hatte einen Bezugspunkt. Er versteht nicht, warum er keinen Weg haben kann. Die anderen Tiere haben doch auch ihre Aufgaben, ihren jeweiligen Bereich. Aber um ihn herum ist nichts als Weite, kein noch so kleiner Bezugspunkt am Horizont. Ich finde es traurig, dass ich ihm nicht helfen kann, dass nun alles so geworden ist, obwohl er doch anfangs ziemlich euphorisch war. Ich fühle mich genauso hilflos wie er, ich weiß auch nicht, wie es weitergehen kann. Als wir so nebeneinander stehen, verschmelzen unsere Gefühle zu einem großen Ball aus Hilflosigkeit und Frustration.
Der Wolf sagt, es wäre toll, wenn er den Ort finden könnte, an dem er er selbst und stark sein kann. Aber was, wenn er ihn nie findet? Ich frage ihn, ob er sich erinnern kann, wann er das letzte Mal an diesem Ort gewesen ist, aber er glaubt, noch nie dort gewesen zu sein. In seiner Vorstellung schon, aber real war er noch nie an so einem Ort. Vielleicht gibt es diesen Ort gar nicht und vielleicht wäre es deshalb besser, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden. Ja, vielleicht wäre es besser, diese Vorstellung aufzugeben und stattdessen zu sagen, es ist gut da, wo er jetzt ist. Jetzt ist der Zeitpunkt wo wir, der Wolf und ich, diese Entscheidung treffen müssen: entweder weiter nach einem Ort suchen, der vielleicht nur in der Vorstellung existiert, oder akzeptieren, was jetzt gerade ist und nichts mehr wollen. Ich finde, er hat Recht, es ist tatsächlich an der Zeit. Ihm ist egal, wofür wir uns entscheiden, er möchte nur ein bisschen mehr innere Ruhe und Frieden haben für einen längeren Zeitraum. Er kann nicht mehr, fühlt sich so getrieben. Ich dagegen fühle mich völlig unfähig, irgendetwas zu entscheiden. Ich frage ihn, ob wir nicht einfach da bleiben sollen, wo wir grade sind. Nur für eine Weile, dass wir durchschnaufen und einen klareren Kopf kriegen können. Aber mein Wolf will das nicht, es ist heiß und unangenehm hier. Außerdem hat er das Gefühl, dass er sich für eine Richtung entscheiden muss. Aber dieses Müssen geht ihm auf die Nerven, er fühlt sich dadurch unglaublich unter Druck gesetzt, gehetzt, getrieben. Und er möchte nicht mehr sinnlos in eine Richtung laufen. Also erwartet er von mir, dass ich jetzt eine Entscheidung treffe. Ich finde das nicht fair, und auch nicht sinnvoll. Ich möchte erstmal hierbleiben und mich ein wenig einrichten.
by Joe B. Borman
Ich versuche folgendes: Ich stelle mir einen Baum vor, genau da, wo wir grade sind. Er ist groß, man kann sich gut anlehnen, und mit seiner ausladenden Krone schützt er uns vor der Sonne. Rundherum wächst weiches Gras. Ich wünsche mir, dass wir genau diesen Platz jetzt hier haben und es funktioniert tatsächlich: Wolf und ich sitzen jetzt unter einem großen Baum auf weichem Gras. Der Platz ist nicht groß, aber ausreichend, um ein wenig bleiben und zur Ruhe kommen zu können. Mein Wolf legt sich erleichtert nieder, unter diesen Umständen können wir bleiben. Aber er ermahnt mich, dass ich nicht vergessen darf, dass dieser Platz hier eigentlich nicht real ist, er wird also nicht ewig da sein für uns. Wir müssen hier was tun, dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir hier bleiben können. Er sagt, wir müssen finden, was wir sind - obwohl er nicht weiß, wie wir das machen sollen.
Mir kommt eine Idee: Er könnte Löcher graben und in jedes legen wir dann eine Vorstellung oder eine Eigenschaft, die von außen über uns gestülpt wurde, oder auch ein Erlebnis, das sich über unser wahres Selbst gelegt hat. Dann  graben wir die Löcher wieder zu. So könnten wir nach und nach alles ablösen, das nicht zu uns gehört, das uns daran hindert, wir zu sein. Ob uns das wohl weiterhelfen könnte? Wolf meint, das ist eine gute Idee! Er ist jetzt wieder ganz eifrig und wirkt ein wenig frischer. Wir sollen das regelmäßig machen, aber in Ruhe. Nichts überstürzen. Zuerst müssen wir ein wenig Ruhe finden, weil wir beide zu aufgewühlt sind, zu mitgenommen.
Das, was wir dem Boden anvertrauen wollen, muss genau angeschaut werden, es muss bewusst übergeben werden, auf rituelle Art.
Mein Wolf meint, dass er sich vermutlich erst auch an die neue Selbstverantwortung gewöhnen muss. Als noch der Zaun da war, konnte er einfach sagen: Ich würde ja, wenn ich könnte. Jetzt ist allerdings so viel Freiheit da und das ist sehr schwer auszuhalten für ihn. Das hat ihn wohl überfordert.
Ich finde es angenehm, jetzt hier ein wenig verschnaufen zu können, auch wenn es nicht auf  Dauer ist und wir zudem noch Arbeit zu erledigen haben.
Ich fühle mich so verbunden mit meinem Wolf. Und wieder sehe ich zwei Bilder von ihm: Das momentane, mit seinem räudigen Fell und der gehetzten Energie, die ihn umgibt. Und auf der anderen Seite das große, schöne, starke Tier. Ich würde es sehr schön finden, wenn er wieder zu dem stattlichen Tier werden könnte, das er eigentlich ist. Ich finde es so traurig, dass er so geworden ist. Wolf sagt, er kann sich nicht erinnern, wie das passiert ist. Er weiß nur, dass er sehr oft das Gefühl hatte, dass es vielleicht gar keinen Platz gibt für ihn und das, was er wirklich ist.
Aber jetzt möchte er sich einfach ein wenig ausruhen. Er ist zufrieden, dass wir einen Plan haben und einen Platz, wo wir bleiben können.

~August~
Ich habe den Wolf lange nicht gesehen. Jetzt treffe ich ihn in einer kargen, öden Landschaft. Er sitzt resigniert da, ist abgezehrt, dünn, sein Blick ist ganz gehetzt und glasig. Seine Pfoten sind blutig. Mir kommen die Tränen bei seinem Anblick. Er ist vor lauter Angst die ganze Zeit über gelaufen, ohne zu wissen, wohin. Er ist einfach gelaufen, immer weiter, obwohl er immer schwächer wurde. Ich mache mir riesige Vorwürfe, dass ich nicht nach ihm geschaut habe, dass ich nicht mehr für ihn da war und ihn beschützt habe vor seinen Ängsten, die ihn fast umgebracht hätten.
Ich bringe ihn in ein Waldstück, lege ihn auf weiches, kühles Moos, es ist ruhig, nur einige Vögel zwitschern in den Bäumen. Die Luft ist angenehm warm. In der Nähe entspringt eine Quelle, dort schöpfe ich Wasser für ihn, lasse ihn trinken, mache kühlende Umschläge für seine wunden Pfoten. Er ist furchtbar schwach, ich kann seine Rippen deutlich fühlen, wenn ich ihn streichle. Er kann seine Augen kaum offenhalten.
Ich sage ihm immer wieder, dass ich mich um ihn kümmern werde, dass er ruhig schlafen kann, weil ich aufpasse. Ich bin da. Alles wird gut. Ich bringe ihm immer wieder ein wenig Wasser und kühle seine Pfoten. Dann lege ich mich zu ihm und halte ihn fest, während er schläft.

Ein paar Tage später stirbt er. Er liegt ganz friedlich auf der Waldlichtung, als ich komme. Ich will nicht, dass er tot ist. Der Verlust schmerzt enorm, ich bin völlig aufgelöst. Ich will ihn nicht verloren haben, ich hätte so gerne gesehen, wie er ganz der wird, der er ist. Ich mache mir Vorwürfe, fühle mich schuldig an seinem Tod. Ich kann nicht glauben, dass es ihn nicht mehr gibt.
Während ich bei ihm sitze und seinen toten Körper streichle, höre ich plötzlich seine Stimme: Ich soll nicht traurig sein, wenn die Zeit reif ist, wird er wiederkommen. Aber ich glaube das nicht, das ist wahrscheinlich nur mein Wunschdenken, weil er mir jetzt schon unglaublich fehlt.

24.9.: Ich habe gekündigt und bin völlig fertig. Raffaella sagt, ich soll meine Bärin (Herzchakra) rufen, aber als ich zu meinen Tieren gehe, kommt sofort der Wolf. Er setzt sich neben mich und schaut ganz erwartungsvoll und unternehmungslustig zu mir auf, dann schaut er nach vorne, spitzt aufmerksam die Ohren und wedelt mit dem Schwanz.

20. November 2015

Paw of Power

Am 29. 10. 2015 komme ich mit einer Bitte zu meinen Tieren. In den letzten Tagen ist eine Kindheitserinnerung bei mir aufgetaucht - ich erlebte erneut den Trennungsschmerz, den jeder Morgen, an dem mich meine Mutter im Kindergarten von mir verabschiedet hat, mit sich brachte. Ich wollte gerne mit meinen Tieren dort hingehen, um der verzweifelten kleinen Daniela von damals zu helfen. Meine Tiere waren einverstanden.

Die beiden Waschbären aus meinem Wurzelchakra sind sofort da, als ich meine Bitte äußere. Begleitet werden sie von einem Eisbären, den ich noch nicht kenne. Er ist zu meinem Schutz da und tatsächlich geht von ihm eine unvorstellbare Ruhe aus, ich habe sofort das Gefühl, mich bei ihm komplett fallenlassen und ihm uneingeschränkt vertrauen zu können.
Die Waschbären fragen mich noch einmal, ob ich wirklich zu dieser Erinnerung zurück möchte, ob ich wirklich bereit bin dazu. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, aber ja, ich will dort hin. Ich habe nur mit meinen Tieren die Möglichkeit, etwas zu heilen. Sie nicken, haken sich links und rechts bei mir unter und marschieren mit mir in der Mitte los. Der Eisbär bleibt dicht hinter mir, ich kann seine körperliche Präsenz deutlich spüren und bin froh, dass er mitkommt.

Ich sehe den Kindergarten, beobachte mit meinen Tieren die folgende Szene: meine Mutter bringt mich gerade, noch ist alles in Ordnung. Aber dann muss sie sich verabschieden und ich werde traurig. Ich möchte nicht alleine hierbleiben, ich möchte entweder mit meiner Mutter gehen, oder mit ihr gemeinsam hier den Tag verbringen. Ich möchte nicht ohne sie sein. Als sie sich umdreht und Richtung Tür geht, schwappt eine Welle der Verzweiflung über mich, die Tränen fließen. 
Die Traurigkeit der kleinen Daniela greift auch auf mich über, ich möchte ihr so gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie. Ich frage die Waschbären, was wir jetzt tun sollen. Sie sagen, ich soll gar nichts machen, ich bin im Moment keine große Hilfe, ich bin zu sehr mit Gefühlen wie Mitleid und Ärger über die Ungerechtigkeit der Umstände blockiert, als dass ich einen konstruktiven Beitrag leisten könnte; sie erledigen das schon. Meine Aufgabe ist es, mich zum Eisbären zu setzen und zuzuschauen. Und wieder bin ich unendlich dankbar, dass der Eisbär bei mir ist, ich lehne mich mit dem Rücken an ihn, spüre das weiche Fell und lasse mich von seinen großen Pranken festhalten. Das tut gut.

Die Waschbären frieren die gesamte Szenerie ein - meine Mutter erstarrt mitten im Weggehen, eine der Tanten erstarrt auf halbem Weg zu mir, um mich zu trösten, die übrigen Kinder rühren sich ebenfalls nicht mehr. Nur ich, die kleine Daniela, stehe immer noch da und weine, weine, weine.
Die Waschbären flitzen nun auf mich zu, sie beginnen, um mich herumzutoben, spielen Fangen um meine Füße. Sie sind dabei so lustig anzuschauen, dass ich unweigerlich zu weinen aufhören muss. Sie haben so viel Spaß und Energie, laufen jetzt auch an mir hoch und wieder runter bei ihrem wilden Spiel, sie kitzeln mich dabei mit ihrem weichen Fell, ich muss kichern. Dann setzen sie sich links und rechts auf meine Schultern und sagen, ich soll mich zu meiner Mutter umdrehen. Wir stehen uns jetzt gegenüber.
Die Waschbären klettern von meinen Schultern, einer geht zu meiner Mutter, der andere bleibt bei mir. Beide formen sie jetzt jeweils eine goldene Blase um uns, dann berühren sie mit ihren kleinen Pfoten die Stelle an unseren Körpern, wo das Herz sitzt. Die freie Pfote legen sie in die des anderen Waschbären, sodass wir alle miteinander verbunden sind. So stehen wir eine Weile ganz ruhig, eingehüllt in das warme Gold, bis die Waschbären die Verbindung lösen und ihre Pfoten von unseren Herzen nehmen. Als sie ihre Arme aus den Blasen ziehen, schaut es aus, als wären sie aus Gold gegossen. 
Nun tauschen die Waschbären ihre Plätze, mein Waschbär legt seine jetzt goldene Pfote auf das Herz meiner Mutter, und ihrer macht das gleiche bei mir. Wieder stehen wir eine Weile so da, allesamt verbunden. Dann nehmen sie ihre Pfoten weg und treten einen Schritt zurück. Das Gold auf ihren Armen verblasst, ebenso wie die Blasen um meine Mutter und mich. Was zurückbleibt, ist ein tiefgold leuchtender Waschbärenpfotenabdruck über unseren Herzen, der sich unglaublich warm und gut anfühlt. 
Die Waschbären sagen mir, dass es jetzt Zeit ist, mich von meiner Mutter zu verabschieden. Ich nicke, lächle sie an und winke ihr, sie lächelt zurück und geht. Dieses Mal ist das in Ordnung für mich, ich drehe mich um und gehe zu den anderen Kindern. Auf meiner Brust leuchtet der goldene Pfotenabdruck. Und ich weiß, dass das bei meiner Mutter auch so ist.

Ich sitze immer noch an den Eisbären gekuschelt da, als die Szene langsam undeutlich wird und schließlich ganz verschwindet. Die Waschbären kommen zu uns, sie sind sehr zufrieden mit sich und ihrer Arbeit. Als ich an mir hinunterschaue, sehe ich, wie über meinem Herzen ein goldener Pfotenabdruck schimmert.

Da taucht plötzlich die Katze auf. Sie gratuliert den Waschbären und schickt den Eisbären weg (meine Katze ist eine ganz typische Katze, sehr pragmatisch, sehr selbstbestimmt, sehr ... na eben katzig). Ich möchte nicht alleine sitzen, fühle mich unsicher und verwundbar ohne den starken Eisbären, der meinen Rücken schützt. Aber die Katze sagt, das muss genau so sein, denn wir sind noch nicht fertig. Ich habe mit dem Pfotenabdruck über meinem Herzen heute ein großes Geschenk der Heilung erhalten, aber sie möchte mir auch noch etwas geben, um alles vollständig zu machen. Sie geht auf meine Rückseite und kratzt mich plötzlich völlig unvermittelt. Die fährt mit ihren Krallen über meinen ganzen Rücken, von oben nach unten, ich spüre ein heftiges Brennen. Sie sagt, ab jetzt kann ich alleine sein, so wie Katzen auch. Ich kann mir selbst genügen und Halt finden bei mir. Auf meiner Vorderseite habe ich den Pfotenabdruck der Waschbären und auf meinem Rücken ihren Kratzer, ich habe den Schmerz und den Schutz, dazwischen bin ich, kann ich ganz ich sein, da beginne ich, da höre ich auf.

Ich danke meinen Tieren. Von ganzem Herzen.



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18. November 2015

storch

reise vom 7.8.15
da ist ein storch, links vor mir. ich begrüße ihn, hallo, was magst du mir zeigen? oft ist es genug, einfach nur so herumzutrippeln, sagt er. und das macht er. er geht mit seinen dünnen beinen und kleinen füßchen und zehen herum. ein bisschen im kreis, schaut nach vor, links, rechts. pickt ein bisschen, schaut in den himmel. und sagt noch einmal, das ist genug, schau, schau. spürst du das leben? und es ist wirklich so, als würde ich sehen, wie das leben so fließt, seine füße rauf und runter. ein bisschen ein anderes leben ist in seinen federn drinnen, er bewegt seine flügel. er tut ganz, ganz wenig, aber das leben ist da. ich sag, magst du, dass ich mich so hinstelle und auch so das leben spür wie du jetzt? und er nickt beiläufig. und ich steh da und ich spür wie das leben durch meine füße läuft, durch meine beine. da ist nicht nichts, da ist viel leben. überall ist leben, überall wird das leben von anderem leben angestoßen, von kleinen zellen, die wie runde kügelchen sind, wie verschiedenfarbige perlen. und der storch sagt, lass es zu. und endlich ist das leben nicht nur in meinen beinen - irgendwie ist da nämlich ein hindernis, da geht’s nicht so gut durch, wo mein unterleib beginnt - hier ist ganz feines gewebe und dieses leben, die kügelchen durchstoßen das gewebe. kommen höher. ich kann ganz viel leben spüren in meinem unterleib, aber es ist ganz zart. die kügelchen sind hier noch viel feiner und kleiner. viel kleiner! und da ist ein pochen in meinem unterleib. und diese kügelchen sind in bewegung, ganz viele und stoßen ganz viele andere an. es ist ein bisschen wie in der letzten reise, wo alles alles bewegt, alles mit allem zu tun hat, und alles ist leben. und ich seh den storch, der immer noch so rumtrippelt und er sagt zu mir, lass das leben höher steigen. und ich spüre, wie säfte in mir hochsteigen und alles, alle säfte, alles besteht – es ist rosarot – besteht aus kleinen kügelchen, ding, ding, die einander vorwärts stoßen. und der storch sagt, lass das leben dich ausfüllen, gib dich hin. in jede kleinste zelle. lass jede zelle neu beleben. ich kann jetzt spüren, wie unterschiedlich die bereiche sind, sehen eigentlich. im herzen ist ganz viel trubel, ganz viel leben. hier sind interessanterweise diese kügelchen größer und dadurch ist alles viel – also große bewegungen – es ist schneller, es geht schneller was weiter. dann ist es etwas schwierig bei den schultern, dass da was durchgeht. als wären die arme, so wie bei gliederpuppen so dranhängend und würden gar nicht ganz dazugehören. es ist so, als müsste man sie erst anhängen. es ist so ein hin und her von leben, ja wie zickzackstiche. aber innen, innen wird hier gearbeitet von dem leben, von den kugeln, von den zellen. in den zellen werden neue verbindungen geschaffen. zuerst links und jetzt rechts in den schultern. das ist schwieriger, aber der rechte arm ist auch ganz anders, eher wie ein flügel. es beginnt sich etwas zu verändern in diesem oberen bewegungsapparat. in diesem oberen... ja ich bekomme flügel. gleichzeitig spür ich wie im hals gearbeitet wird. hier ist es ganz dicht, hier ist es wie eine dichte masse, wie ton der einige... 5, 6, 7 cm breit ist, wo bahnen durchggezogen werden müssen, so als würden ganz kleine feine nadeln - es ist sehr unangenehm - von unten nach oben durchgehen. auch ein paar von oben nach unten, interessant. es ist so: von unten nach oben werden kleine kanäle gezogen. gleichzeitig wird an meinen flügeln gearbeitet. so füllig wie federn, helle federn. weiß, links sind schwarze dabei, ein paar rote dabei. auch rechts sind rote, es ist unglaublich. wenn ich genau wahrnehme, dann spür ich, dass in meinem ganzen körper gearbeitet wird. pumabeine, entenhintern, auch tiere, es sind tiere da. es werden tierteile in mir, die sich auch wandeln. das ganze leben ist da. dieser wie gerupfte entenhintern irritiert mich ein bisschen. der storch erklärt mir, das ist anders, hier müssen erst die federn geboren werden. da ist nichts gerupft, das ist alles neu. neues leben! ich hab hufe und krallen, es changiert. ich bin leben, ich bin leben, ich bin lebendigkeit. bewegung. die kleinen kügelchen arbeiten und alles verändert sich. es ist so wichtig bei dem hals da durchzukommen. man kann nicht diese ganze schicht, die wie ton ist wegräumen, denn dann würde der ganze kopf herunterfallen. durchlässig machen. das ziel ist, hier ganz durchgängig zu werden, und ich schau den storch an und er sieht mich an und ich sehe an ihm, was mit mir passiert. es wird der hals immer länger, mein hals wird länger, wird dünner. dadurch verändert sich die konsistenz von dieser masse, von dem hals überhaupt. es wird besser. der storch sagt, und ich spür das auch, aus diesem alten leben wird neues leben geboren. und durch das längerwerden des halses entsteht so eine art kanal, und von unten kommt das leben rauf in meinen kopf. und mein kopf ist ganz unerwartet anders, wie eine große blüte, wie eine unglaublich schöne, dichte, duftende rosa pfingstrose. groß und buschig und duftend. sie wird immer schöner und ein bisschen dunkler. sie wird genährt von dem leben und es ist so, dass ich spür, wie ich jetzt auch wurzeln hab in die erde. wie ich als ganzes mich in eine blume verwandle. wie ich wasser bekomme. lebenswasser aus der erde, die mich trägt und hält und nährt, die wunderbare erde, meine mutter, und es kann mir nichts passieren. das ist irgendwie psychedelisch, ganz seltsam. und doch auch so real, es kann mir nichts passieren. über mir ist der himmel, der himmel, der mich nährt und die sonne. und unten ist die erde und das wasser. wasser, lebenswasser kommt von unten und von oben. das lebenswasser kommt von unten und von oben und es ist da in der luft, in der mitte. leben ist wasser, wasser ist leben. ich fühl mich jetzt ganz lebendig, auch in der mitte, mein herz ist so stark. und vom herzen aus bin ich intensivst bemüht nach dieser verbindung nach oben und nach unten, dass alles in verbindung und fließend ist, dass die kleinen kügelchen sich bewegen können, rauf und runter, wie es ihnen gefällt. sie sollen spaß haben, sie sollen reinen spaß haben. überall in meinem körper ist leben und spaß, reines vergnügen. ich bin eine geburt. lange lebt eine pflanze nicht. ich bin jetzt gerade eine geburt. wovor sollte ich angst haben? das leben ist ehrlich und genau jetzt. ich frag den storch, ist es gut so? ich schau ihn an, er steht neben mir, er ist genau so groß wie ich. ich bin eine pfingstrose, er ist ein storch. ich bin eine sehr große pfingstrose. und der storch sagt, ich soll mich nur ganz diesem leben hingeben, diesem neuen. ein pflanzenleben. ein pflanzenleben ist ganz anders. kurz. ein blume hat ein kurzes leben und ist das leben. und dieses leben ist ganz frisch. unglaublich prickelnd, wie frisches bergquellwasser. und es spritzt und sprinkelt rauf und runter in mir, raus aus den blütenblättern und aus den blättern. und ich bin so unglaublich lebendig, so lebendig. der storch sagt, du hast dich gefragt, wo das neue ist, das neue leben. sei dir bewusst, dass du dir jedes leben in jedem augenblick erschaffen kannst. wenn du das bedürfnis nach einem puma, nach einem pumaleben hast, dann mach dir einen puma. einen stein, eine wolke am himmel, eine oma, ein messer, eine küchengabel. alles ist leben und alles ist dir immer zugänglich, in jedem augenblick. es ist nur weg, wenn du dich verschließt. es kann dir nichts passieren. du bist wunderbar aufgehoben, zwischen himmel und erde in dir. ich danke dir, wer bist du denn? (lacht) dein geburtshelfer, siehst du das nicht? dann nimmt er mich, ich bin die blume, er nimmt mich und hält mich und trägt mich hoch und fliegt weg mit mir und setzt mich in eine reiche, reiche rote und saftige erde hinein. und da ist ein kleines lüftchen, ein paar wolken, ein wind, eine temperatur und farben wie ich sie mir nur wünschen kann und wie es in marokko ist. eine pfingstrose in marokko! was für ein schöner buchtitel, sagt der storch. und ich sag, an schreiben denk ich jetzt wirklich nicht. und der storch sagt, musst du nicht, das leben schreibt sich selber. lass es nur zu, gib dich hin, gib dich immer hin. blockier dich nicht durch irgendein schlechtes gefühl oder ein schlechtes gewissen oder ein irgendwas sollte anders sein. hab keine angst. hab keine angst, solange du fließt und das leben fließt, ist alles gut. ich sag, bist du da, bleibst du da? kann ich dich erreichen? und der storch sagt, immer wenn du das bedürfnis nach einer neuen geburt hast, täglich, sekündlich oder stündlich, ein mal im jahr oder nie wieder, ich werde da sein, ich helfe dir. ich bin sehr gerührt. jetzt lieg ich da, der storch breitet seine flügel über mein gesicht. breitet seine weichen flügel über mein gesicht, und es sind die gleichen flügel, die ich auch jetzt bekommen habe. ja freilich hast du mich selbst geboren, sagt der storch, wer denn sonst? ich bin ja dein tier, und du weißt auch, dass du fliegen kannst. bleib noch da, hingebreitet wie du bist, ich bin über dich gebreitet, es ist alles gut. und der storch ist wie eine feine, zarte federdecke. danke.
(wörtlich nach einer audio-aufnahme)

12. November 2015

Eine Welt, die sich selbst erschafft

Reise vom 15. April 08

Ich bin am See, dem Ort meines Herzens. Schon oft bin ich an diesem inneren Platz gewesen, der mir mit seiner smaragdgrünen Farbe wohl vertraut ist. Im Baum neben dem See sitzt der schwarze Vogel, darunter das weiße Pferd aus dem Herzchakra. Das Bild von gestern, die Eisschicht, die über dem See lag, kommt mir nun wie ein Traum vor. Und doch ist der schwarze Vogel der Beweis, dass es kein Traum ist.

© Anne Romby

„Ich freue mich, dass du da bist“ rufe ich zu ihm hinauf – und da fliegt er auch schon aus der Baumkrone hinunter und setzt sich auf den Rücken des Pferdes.
„Wie geht es dir?“ fragt er und ich sage ihm, wie dankbar ich für alles bin, was gestern passiert ist. Am allermeisten dafür, dass er für mich da war und mich in meiner großen Not beschützt hat. Ich bin neugierig, mehr über ihn zu erfahren.
„Du kennst mich schon so lange, aber du hast es vergessen“, sagt er.
„Kannst du mir sagen, was ich vergessen habe?“ frage ich ihn,
„Komm ganz nah zu mir und schau mein Gefieder ganz genau an.“
Ich sehe blau schwarz glänzende Federn mit starken, dicken Kielen. Vorsichtig berühre ich sie und spüre, wie weich sein Gefieder ist.
„Erinnert dich das an etwas?“ fragt er mich.

Da sehe ich einen Konzertflügel, auf dem ein Zylinder und ein Stock liegen. Der Flügel steht in einem großen Raum mit hohen Fenstern und kostbaren Teppichen am Boden. Ich schaue mich um und denke, dass das nur ein Schloss sein kann. In einer Fensternische steht ein imposanter Gold verzierter Schreibtisch. Auf ihm sitzt eine weiße Angorakatze. Als ich mich ihr nähere, entdecke ich, dass sie ein blaues und ein grünes Auge hat. Behutsam lasse ich mich beschnuppern. Als sie mit ihrem Kopf meine Hand anstupst, streichle ich sie und frage: „Wo bin ich?“
„Das ist dein Schloss!“ antwortet sie. Ungläubig zeige ich auf den Zylinder und sage, dass der viel zu groß für mich ist.
„Sag mir, wem er gehört!“ fordere ich sie auf.
Da blickt sie mich an, als wolle sie abschätzen, ob ich vertrauenswürdig genug bin, diese Information zu bekommen. Sie deutet auf den offenen Kamin, der von Bücherregalen umringt ist. Als ich hingehe, sehe ich, dass auf dem Sims viele Bilderrahmen mit alten Fotografie stehen. Ein Mann in Uniform, ein Hund, der einen Ball im Maul hält, zwei kleine Mädchen und eine lachende Frau.
„Wer sind all diese Menschen?“ frage ich die Katze.
„Das sind meine Menschen!“ antwortet sie mit Stolz geschwellter Brust.
„Und was habe ich hier zu suchen?“
„Das weiß ich auch nicht. Aber dein Besuch wurde mir angekündigt.“

Als ich merke, dass sie nicht weiter mit mir spricht, gehe ich zu dem Flügel und setze mich hin. Ein geöffnetes Notenblatt liegt in der Halterung. ‘Mondscheinsonate’ von Ludwig van Beethoven. Es gibt mir einen Stich im Herzen, als ich den Titel lese. Vorsichtig berühre ich die Tasten mit den Fingern, traue mich aber nicht, sie herunter zu drücken und Töne zu erzeugen. Ein komisches Gefühl überkommt mich, ein Gefühl, Eindringling zu sein. Ich lasse meine Hände wieder sinken,  nehme den Zylinder und setze ihn auf, obwohl er mir ein Stück in die Stirn rutscht. Auch den Stock mit dem Silberknauf nehme ich in die Hand - und da verwandelt sich die Szenerie und ich befinde mich auf einer Bühne eines Nachtklubs. Scheinwerferlicht ist auf mich gerichtet.
Ich sehe mich tanzen mit Stock und Zylinder, doch die Musik hört sich eigenartig an. Sie hallt als wäre das kein Raum in einem Klub sondern eine Höhle. Alles wirkt sehr unwirklich.

Der Zuschauerraum ist halb verdunkelt, von den vielen Menschen im Raum sehe ich nur Silhouetten und kann keine Gesichter erkennen. Der Hall verstärkt sich, und plötzlich fallen alle Schattenmenschen um. Da erkenne ich, dass es keine echten Menschen waren sondern nur Pappkartons. Als nächstes stürzen auch die Wände ein wie Kulissen.

Ich stehe immer noch mitten auf der Bühne, der Spot auf mir, rundherum Dunkelheit und Stille. Die Musik hat aufgehört zu spielen. Der Silberknauf des Stockes, den ich immer noch in der Hand halte, hat sich in einen Totenkopf verwandelt.
„Willkommen im Reich der Träume!“ ruft er laut im Tonfall eines Zirkusdirektors. „Zeige mit mir an einen bestimmen Punkt im Raum, und was immer du dir wünschst, wird sich dort manifestieren.“
Das will ich ausprobieren. Ich deute links von mir und wünsche mir eine blühende Wiese mit blauem Himmel und Vogelgezwitscher. Augenblicklich manifestiert sich mein Wunsch in diesem sonderbaren Raum.
„Siehst du, so einfach ist das“, tönt es aus dem Totenkopf.
Dann deute ich zu einer anderen Stelle und wünsche mir ein Rudel Wölfe bei Vollmond, und gleich darauf erscheinen sie. Als nächstes wünsche ich mir einen riesigen Kuchen auf einem silbernen Tablett, und auch dieser erscheint in einem Augenblick. Die ganze Zeit über beobachte ich das Gesicht des Totenkopfes, das mich höhnisch anschaut.
„Und das ist erst der Anfang!“ ruft er mir entgegen und lacht schallend.
Ich werde ärgerlich und sage ihm: „Das alles ist nicht neu für mich. All das habe ich schon erlebt. Ich weiß, dass das, was ich mir vorstelle, wahr wird. Das ist nicht das Land der Träume sondern das Leben.“
„Bravo! Der Kandidat hat hundert Punkte!“ dröhnt es vom Totenkopf.
Voller Zorn schreie ich ihn an: „Ich habe nicht so viel Zeit und wüsste gerne, worum es hier geht!“
Da verfinstert sich seine Miene und mit einem kurzen Wink lässt er alles, was ich gerade erschaffen habe, wieder verschwinden. Er beginnt, unbändig zu lachen. Und sein Lachen wird immer lauter, schallend. Und wieder meine ich in einer Höhle zu sein. Der Stab ist zu einem Skelett geworden. Das Skelett läuft im Kreis und lacht immer hysterischer. Es wirkt wie unter Drogen. Unermüdlich läuft es immer schneller im Kreis und lacht ein künstliches, überdrehtes Lachen. Ich warte nur darauf, dass es zusammenbricht. Entgegen meiner Erwartung wird es aber langsamer und verwandelt sich in ein riesiges Insekt. Aus unendlich traurigen Augen blickt es mich an. Es ist dünn und ausgezehrt. Die Flügel hängen an seinen Seiten herunter. „Ich brauche Hilfe!“ flüstert es mit letzter Kraft.
Ich nehme es zu mir. Es legt sich in meine Arme, wo es völlig erschöpft in sich zusammenfällt und sich in ein neugeborenes Fohlen verwandelt. Sein Fell ist ganz nass, und ich spüre sein Zittern, als ich über seinen Körper streichle. Es ist so zart.

© Paul Knight

Da bin ich wieder am See. Die weiße Stute aus meinem Herzen kommt zu uns und begrüßt das Fohlen, indem sie ihm über den Kopf schleckt. Der schwarze Vogel streicht mit seinen Flügeln über den Körper des Fohlens. Es fühlt sich an, als würde die Zeit stehenbleiben und eine Welt neu entstehen. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit zu diesen drei Tieren ohne zu wissen oder zu verstehen, wer sie sind und warum sie da sind. Alles, was zählt, ist, dass sie zu mir gehören. Wie eine Familie. Das Fohlen ist sehr zart und zerbrechlich, und die Stute und der Vogel behüten es, als wären sie seine Eltern.
„Ich heiße dich willkommen auf dieser Welt!“ sage ich zu dem Fohlen. „Ich freue mich, dass du da bist. Du bist ein so vollkommenes Wesen, so wunderschön.“

Im Schatten des Baumes hat sich eine Mulde gebildet, die mit frischem Heu ausgelegt ist. Das Fohlen legt sich hinein und ich knie mich zu ihm, streichle über sein Fell und lege meinen Kopf nah zu seinem Gesicht, spüre sein Fell an meiner Wange. Eine tiefe Liebe verbindet uns, und es dauert nicht lange, bis ich mich zu dem Fohlen in die Heumulde liege. Das Pferd und der Vogel stehen über uns wie wohlwollende Eltern, und ich fühle mich sehr geborgen.
Die Präsenz des schwarzen Vogels tut mir so gut. Er verkörpert für mich Schutz, Stärke und Klarheit und erlaubt mir, mich ganz in dieses Gefühl der Liebe fallen zu lassen.

Das Fohlen neben mir fühlt sich zart und weich an. Seine Nüstern vibrieren hoch empfindlich, und es scheint mir wie ein kleines Wunder, dass so etwas überhaupt möglich ist. Mit seinen dunkelbraunen Augen, die von langen Samt schwarzen Wimpern umgeben sind, schaut es mir direkt ins Herz. Langsam werde ich kleiner, jünger, bis ich ein Baby bin und mit meinen kleinen Fingern den Flaum der Nüstern des Fohlens berühre. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, so als wäre es meine Mama.

In jeder meiner Zellen steckt noch die schmerzhafte Erinnerung, dieses Gefühl die liebende Berührung einer wohlwollenden Mutter nie erfahren zu haben. Und nun bin  ich hier, an diesem Ort und spüre, es gibt sie. Ich habe eine Mama. Tränen der Erlösung laufen über meine Wangen, und wieder und wieder kuschle ich mich eng an das warme Fohlen. Die Liebe ist immer da.

Gleichzeitig beginnen wir, zu wachsen und werden größer, bis wir nebeneinander stehen. Aus dem Fohlen ist eine große braune Stute mit blonder Mähne geworden. Liebevoll schaut sie auf mich herunter. Und auch die Blicke von Pferd und Vogel ruhen auf mir. Ich bin umringt von Liebe.

Auf dem See sind Seerosen gewachsen. Unzählige Blüten bedecken die Hälfte des Sees. Es ist, als wären sie das vierte Geschöpf, das in dieser neu entstandenen Welt erschaffen wurde. Das Produkt unserer Liebe, geboren aus der Tiefe.

Es ist eine so junge Welt. Sie braucht viel Achtsamkeit, weil alles, was von mir gespürt oder genährt wird, Neues erschafft. Ich kann dieses zarte, energetische Gewebe spüren, das mich mit allem verbindet. Es steht in einem krassen Gegensatz zu dem Manifestieren, das mir der Totenkopf gezeigt hatte. Eine völlig andere Qualität. Eine aus sich heraus entstehende Energieform, die nicht vorhersagbar oder bestimmbar, jedoch eng verknüpft mit dem vorangehenden Moment ist. Eine Welt, die sich selbst erschafft. Ich kann es kaum glauben, dass ich Teil davon bin.

Da nickt mir der schwarze Vogel zu, als wäre er der Beweis dafür, dass es wahr ist. Er war bei mir, als ein unaussprechlicher Schmerz mich durchflutet hat, das Unaushaltbare mich fast umgebracht hat.

Ich bin nackt, und lasse mich in den See gleiten. Zwischen den Seerosenblüten liege ich auf der Wasseroberfläche.
„Komm so oft wie möglich hierher zurück“, sagt der Vogel. „Sonst gibt es nichts zu tun. Komm hier her und spüre die Liebe.“

Dankbar lasse ich mich vom Wasser des Seerosenteichs sanft tragen und weiß: Es gibt keinen Abschied. Es bleibt.

10. November 2015

Hingabe

Reise vom 28. September 07
Puma kommt zu mir und schleckt mein Knie. „Ich brauche viel mehr Aufmerksamkeit von dir, du hast völlig auf mich vergessen“, sagt er.
Ich spüre, wie Recht er hat. Es tut gut, ihn so nahe bei mir zu fühlen. Bedächtig, so als hätte er alle Zeit der Welt, schleckt er über mein Knie.
„Was kann ich tun, um mein altes Muster gehen zu lassen, das mich zwingt, mich immer weiter voranzutreiben? Ich will es loslassen!“ sage ich mit Bestimmtheit.
„Mach genau, was ich mache. Gib deinem Knie Liebe.“


© Alessandra Maria

Also setze ich mich auf und halte mit beiden Händen mein Knie. Ich entschuldige mich bei ihm, dass ich wieder einmal zu schnell gelaufen bin und mich selbst überholt habe. Da löst sich aus ihm eine kleine Elfe mit zarten Flügeln. Sie fliegt zu Puma und setzt sich auf seine Nase. In ihrer kleinen Hand hält sie einen Zauberstab.
„Es hat mir sehr geholfen, dass du dich bei mir entschuldigt hast. Ich spüre deinen Respekt und deine Anerkennung. Nur deshalb konnte ich jetzt herauskommen und mich zeigen. Ich kann dir helfen, dein Muster gehen zu lassen.“
„Ist das wirklich möglich?“ frage ich aufgeregt.
„Alles, was du denken kannst, ist möglich. Deine Vorstellung und dein Glaube machen alles möglich“, antwortet sie mit einer klingelnden Stimme. „So einfach ist das. Du brauchst es nur zu tun.“
„Aber während ich bewusst etwas denke, denkt auch mein Unbewusstes vielleicht etwas Anderes und erschafft dieses, ohne dass ich es möchte“, entgegne ich.
„Genau. Aber das Diskutieren darüber bringt jetzt gar nichts. So kommen wir nicht weiter. Lass uns zum See gehen“, sagt die Elfe.

Wir machen uns auf den Weg. Puma trottet neben mir, die Elfe immer noch auf seiner Nase. Der See liegt unverändert da. Das Baby und die Frauen sind immer noch dort. Als wir näher kommen, blicken uns alle erwartungsvoll an. Die Elfe fliegt zum Baby und landet auf seinem kleinen Finger. Da lacht es. Es möchte, dass ich zu ihm komme. Puma bringt mich hin.

Das Weltenbaby nimmt mich in seine Arme und wiegt mich sanft. Es fühlt sich eigenartig an, von einem Baby im Arm gehalten zu werden, und doch ist es sehr schön. Ich spüre eine tiefe Vertrautheit und Nähe zu dem Baby, und ganz automatisch erlaube ich mir, kleiner zu werden und mich ganz in ihm zu verkriechen. Ich spüre, was für eine Last ich auf den Schultern trage, so als hätte ich zentnerschwere Pakete umgeschnallt. Selbst jetzt, wo ich so liebevoll gehalten werde, sind sie da und behindern mich.

Als ich mich umsehe, erkenne ich, dass die anderen Frauen auch solche Pakete auf Schultern und Rücken geschnallt haben. Die Pakete drücken hinunter, machen klein. Da verwandeln sich die Frauen in Käfer und versuchen weg zu fliegen. Sie schaffen es aber nur, ein Stück weit vom Boden abzuheben, straucheln, das Gewicht der Pakete ist zu groß, und sie stürzen in den See und ertrinken. Es ist grausam  anzusehen, wie sich der See mit Leichen von unzähligen Käfern füllt. Hoffnungslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung lähmen mich. Schnell ist der See voller Kadaver. Keine einzige Frau ist mehr da. Ich spüre, dass auch ich keine Kraft mehr habe, sehe keinen Sinn. Das Gewicht erdrückt mich.
„Lass mich gehen“, wende ich mich an das Baby. „Ich will nicht mehr. Es ist so schwer. Es zieht mich hinunter zu den anderen im See. Ich will es auch hinter mir haben“.



© Autumn Sky Art

Da lässt mich das Baby sanft in das Wasser des Sees gleiten und blickt mich liebevoll an. Dankbar fühle ich, wie das Wasser meinen Körper umschließt. Es ist gut, hier zu sein. Zu wissen, dass alle Käfer tot sind. Alle haben aufgegeben. Niemand mehr da, der antreibt. Gäbe es auch nur einen einzigen lebendigen Käfer, alles würde wieder von vorne beginnen. Aber es sind alle tot. Ich auch. Und das tut so gut.

Aus dem Haufen toter Käfer erhebt sich eine goldene Kuppel sternförmig angeordneter Bögen, die in der Mitte spitz zusammenlaufen. Es sieht aus wie ein Stupa, der aus dem See wächst. Wie eine Insel erhebt er sich aus der Mitte der Kadaver. Als er zum Stillstand kommt, sind die Bögen zusammengewachsen und bilden eine geschlossene goldene Oberfläche. Ich erkenne einen schmalen Pfad, der vom Ufer zu der Insel mit dem Stupa führt.

Die Elfe fliegt voran, hinter ihr folgen Puma und ich. Als wir den schmalen Pfad hinter uns gelassen haben, erreichen wir Steinstufen, die zum Stupa führen. Es ist totenstill. Die Zeit steht still. Jeder Augenblick unendlich.

Der Stupa pulsiert in goldenem Licht als wäre er ein eigenes Wesen mit einem eigenen Puls, den er in die Welt hinaussendet. Ich spüre, wie meine Zellen darauf reagieren und ihre Schwingung verändern. Mittlerweile sind alle Tiere auf der Insel angekommen. Das Baby beobachtet die Szene vom Ufer aus. Manta aus dem achten Chakra schwebt direkt über dem Stupa. In ihm spiegelt sich die Szene nach oben.

Plötzlich bin ich weit außerhalb, beobachte aus einiger Entfernung, wie die ganze Szenerie in sich zusammenschrumpft und da, wo vorher der See war, als Kristallkugel in einer Mulde zu liegen kommt. Das Baby nimmt die Kugel in die Hand und hebt sie hoch. Es wird kleiner, und da, wo sein Körper eben noch große Teile des Sees eingenommen hatte, kann sich dieser nun wieder mit Wasser füllen.

Das Baby reicht mir die Kugel und lächelt mich an. Ich nehme sie mit beiden Händen und weiß intuitiv, dass ich sie in mein Herz legen soll. Als ich die Kugel an meinen Brustkorb halte, öffnet sich dieser wie von selbst und nimmt sie auf. Ich spüre eine starke Kraft von ihr ausgehen, die meinen ganzen Körper erfüllt. Vom Herzen aus kann ich sie überall in meinen Körper schicken, um sie wirken zu lassen.
Die Kraft der Kugel in meinem Herzen pulsiert in ihrem eigenen Rhythmus. Deutlich unterscheidbar von meinem eigenen Herzschlag. Ich schicke sie in meine Gebärmutter, und sofort spüre ich, wie die goldene Energie in meinem Körper nach unten wandert. Je näher sie der Gebärmutter kommt, um so bewusster werde ich mir, dass sich diese wie mumifiziert anfühlt. Als wäre sie stehen geblieben in der Zeit. Der lebendige Puls der Kugel belebt nun diesen Raum in mir wieder mit Liebe. Ich spüre eine tiefe Dankbarkeit.

Geburt des Weltenbabys

Reise vom 18. September 07 

Ich bin an einem See. Muskelentladungen und Stromstöße durchzucken meinen ganzen Körper. Neben mir ist Schildkröte aus meinem Kehlchakra.

© Selma Todorova

„Schau dir den See an“ sagt sie. Ich entdecke Blitze im Wasser, als würden die Stromschläge, die ich in meinem Körper spüre auch den See durchzucken. Meine Neugierde ist geweckt und ich bitte sie, mir mehr zu zeigen. So nah neben mir bemerke ich, wie wunderschön sie ist. Ihr Panzer schillert smaragdgrün und ihre uralte Haut strahlt in einem tiefen blitzblau mit goldigen Einschlüssen wie Lapislazuli. Seit unserer letzten Begegnung ist sie deutlich gewachsen.

„Ich habe den See erkundet und kenne ihn jetzt gut, das hat viel zu meiner Veränderung beigetragen“ sagt sie.
Ich war voller Sorge gewesen, dass das Wasser des Sees wieder trüb und dunkel werden könnte, wenn ich nicht aktiv daran arbeiten würde, es klar zu halten.
„Lass das meine Sorge sein,“ entgegnet sie, „die anderen Tiere sind ja auch da und rufen mich, wenn es etwas zu tun gibt“.

Ich merke wie mir kalt wird und sehe, wie sich eine milchige Schicht gallertartig über die Oberfläche des Sees legt und eine erstarrte Haut bildet.
„Leg dich in die Mitte des Sees auf diese Schicht“, sagt sie. Als ich vorsichtig die Oberfläche betrete, spüre ich, dass die Haut wie Gummi unter meinen Füßen nachgibt. Vorsichtig lege ich  mich hin. Unter mir nehme ich immer noch die Blitze im Wasser wahr. Kaltes Grausen dringt von unten in meinen Körper. Mir wird immer kälter, bis in die Knochen.
„Lass es zu. Lass dich heilen“, höre ich die sanfte Stimme der Schildkröte neben mir. Ich spüre Kältewellen von unten nach oben meinen Rücken durchströmen, nach und nach sinke ich durch die Schicht in das nun dunkle Wasser ein. Fühle mich leblos, kann mich nicht bewegen, und mein Körper sinkt tiefer und tiefer, bis er auf dem Grund zu liegen kommt. Nun sehe ich deutlich die Blitzentladungen um mich herum. Die Muskelzuckungen in meinem Körper haben aufgehört. Ich fühle mich eingesperrt. Lebendig begraben. Die Blitze bilden ein elektrisches Feld, das mich am Ausbrechen hindert.

Verschwommen kann ich von unten die Schildkröte durch die gummiartige Schicht wahrnehmen, sehe ihre vier Füße als kleine verschwommene Punkte, dazwischen den Schatten ihres Körpers. Sie läuft an der Oberfläche geschäftig herum, und es ist gut zu wissen, dass sie da ist. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich keine Möglichkeit habe, mit ihr zu kommunizieren, da mich das elektrische Feld von ihr abschneidet.

Es ist still hier. Das einzig wahrnehmbare Geräusch ist das Surren der Blitze um mich herum. Sonst gibt es keine Bewegung, kein Leben. Ein hermetisch abgeschlossener Raum.

Was soll das bedeuten? Warum bin ich hier?
„Du gehörst mir!“ höre ich eine Stimme aus dem See.
„Wer sagt das?“ frage ich. Ein hämisches Lachen ertönt.
„Du gehörst uns!“
Ich will wissen, wer das sagt und bitte die Stimme, sich zu zeigen.
„Du stellst hier keine Bedingungen!“
Ich muss eine Gefahr darstellen – denke ich – wenn man mich hier durch dieses elektrische Feld und die Gummischicht in Schach halten muss.

© Yolanda Eveleens

Da erinnere ich mich an eine frühere Reise, in der ich in einem Tunnel stecken geblieben war. Damals wuchs eine Kraft in mir, die stärker und stärker wurde, bis ich schlussendlich aus diesem inneren Kraftantrieb heraus die Auswegs lose Situation durchbrechen konnte. Das Gefühl hier und jetzt ist dem Gefühl von damals sehr ähnlich. Deutlich kann ich spüren, dass ich nicht umgebracht werden kann. Ich fühle mich stark und sage mit kraftvoller Stimme: „Du weißt, dass du mich nicht töten kannst!“ ohne zu wissen zu wem ich spreche. Ich wurde lahm gelegt, kann meinen Körper kaum spüren, unmöglich, meine Muskeln zu bewegen. Über mir sehe ich die Schildkröte herum trappeln. Ihre Füße wandern als dunkle Punkte auf der Oberfläche – sie ist ständig in Bewegung. Ich verbinde mich mit diesen dunklen Punkten, indem ich meine ganze Aufmerksamkeit auf sie richte und spüre, dass sie mich durch ihr Herum gehen unterstützt. Es ist, als wüsste sie genau, was mit mir passiert.

„Schau wie armselig du bist! Du kannst nur jemand anderem zuschauen, der sich bewegt. Du selbst bist völlig erstarrt!“ macht sich die Stimme aus dem See wieder bemerkbar. Da werde ich wütend und sage: „Ich bin nicht erstarrt! Du lähmst mich! Ich bin in Wirklichkeit genau so beweglich. Solange du dich mir nicht zeigst, kann ich mich dir nicht stellen“.

Ich sehe, wie Schildkröte weiterhin unermüdlich an der Oberfläche ihre Kreise zieht. Ein gutes Gefühl. Es ist, als hätte ich eine Verbündete, die nicht aufgibt, egal wie aussichtslos die Lage ist. Ich kann spüren, dass sie immer da sein wird. Langsam werde ich ruhiger. Je tiefer ich die Verbindung mit Schildkröte spüren kann, desto mehr gelingt es mir, mich zu entspannen. Ich kann das aus sitzen, es ist nicht notwendig, irgendetwas zu beschleunigen oder voranzutreiben. Eine tiefe Ruhe macht sich in mir breit.

„Was willst du von mir?“ frage ich in das Dunkel des Sees.
„Ich bekomme bereits alles von dir, was ich brauche“, tönt die Antwort durch das Wasser.
„Und was ist es, das du von mir bekommst?“
„Deine Lebendigkeit.“
„Was ist mit deiner eigenen Lebendigkeit?“
„Die existiert nicht.“

„Wann hat das begonnen?“

Ich sehe einen anderen See, umringt von Bergen. Auch auf diesem See liegt eine Schicht. An seinem Ufer stehen unzählige Frauen. Schulter an Schulter bilden sie einen Kreis. Sie stammen von unterschiedlichen Völkern. Alle Ethnien sind vertreten. Jede von ihnen kniet am Ufer und
wischt mit einem Tuch über die Gallertschicht. Es sieht aus als täten sie das gerne, sie singen unbeschwerte Melodien, während sie immer wieder in der gleichen monotonen Bewegung über die Schicht auf der Oberfläche des Sees streichen.

Ich gehe zu einer der Frauen hin, die in einen Seidensari gekleidet ist. „Was tust du da?“ frage ich sie. Sie blickt auf, lächelt mich an und reicht mir ihr Tuch.
 „Probier es selbst aus!“ sagt sie und nickt mir zu.  Ich knie mich hin, wische wie alle anderen über die Schicht und stimme in den Gesang der Frauen mit ein, spüre eine starke Verbindung zwischen den Frauen und mir.

Aber irgend etwas stimmt hier nicht. Obwohl ich unsere tiefe Verbundenheit spüren kann, scheint mir das, was wir tun, absolut sinnlos zu sein. Unser Wischen bewirkt nichts, ist völlig nutz­­los. Ich scheine die Einzige zu sein, die das, was wir hier tun hinterfragt. es ist als würden wir eine verbundene, gemeinsame Bewegung machen. Wenn ich etwas an der Bewegung verändere, machen alle anderen augenblicklich mit. Ich setze mich auf meine Fersen und alle Frauen tun es mir sofort nach, so als hätten sie schon darauf gewartet. Vorsichtig berühre ich den Rand der Schicht und sehe, wie die anderen es mir gleich tun. Die gallertartige Schicht ist zäh, dick und schleimig. Es dauert einige Zeit bis wir es schaffen, die Schicht vom Seeufer zu lösen. Als die letzte der Frauen die Verbindung vom Untergrund löst, blicken wir einander an und stehen langsam auf. Die Schicht halten wir über unseren Köpfen gespannt. Sie trieft auf uns herunter, und voller Ekel werden wir von dem herabtropfenden Schleim befleckt.

Nun ist der See darunter sichtbar. Aus ihm steigen dunkle Rauchschwaden auf. Der Rauch erschwert uns zu atmen, und ich kann spüren, wie wir schwächer werden. Unsere Kraft schwindet, und es wird immer schwieriger, die Schicht über unseren Köpfen zu halten. Der dunkle Rauch nimmt uns die Luft zum Atmen. Eine bleierne Müdigkeit, die uns erfasst, zwingt uns, die Arme zu senken. Und das Unvermeidbare passiert: die Schicht sinkt herab und verbindet sich wieder mit dem Seeufer. Augenblicklich ist die Luft wieder klar. Völlig erschöpft sinken wir nieder und legen uns hin. Ein trostloses Gefühl macht sich breit. Vielleicht ist es ja besser, wenn die Schicht den See verschließt. Wir kapitulieren und schlafen ein.

© Jaime Zollars

Ich finde mich wieder am Grund des Sees, wo ich alleine in dem elektrischen Feld gehalten werde und kann deutlich spüren, dass das eben Erlebte der Moment war, in dem ich hier gefangen worden war. Und ich kann spüren, dass ich nicht die einzige Gefangene bin. Es ist wie in dem Film Matrix. Unzählige Frauen liegen in Seen wie diesen, gefangen von elektrischen Feldern. Mein Herzschlag setzt aus.

Ohnmacht und Verzweiflung überschwemmen mich. Müdigkeit legt sich über mich. Ich habe keine Möglichkeit etwas zu verändern. Zu übermächtig erscheint alles. Ich kann nichts tun.

Die Blitze in dem elektrischen Feld  töten alle lebendigen Impulse der Frauen ab, physisch, psychisch und emotional, alle sind ruhig gestellt.
„Warum ist das so?“ frage ich.
„Zu deinem eigenen Schutz.“
„So ein Schwachsinn!“ Ich kann es nicht fassen.
In diesem halb gelähmten Zustand ist es für mich schwer, klare Gedanken zu fassen. So muss es Menschen in Einzel- oder Dunkelhaft gehen. Sie verlieren jedes Gefühl für Zeit und Raum.

Einzig die Schildkröte ist noch da und läuft über mir herum. Sie ist mein letzter Anker. Ohne sie hätte ich schon aufgegeben. Was kann ich nur tun? Es ist eigenartig. Die Schildkröte ist da und unterstützt mich spürbar. Aber sie tut nichts, außer herumzulaufen, so als würde sie mir damit zu verstehen geben, dass ich selbst etwas erkennen soll. Ich habe keine Ahnung was. Die Müdigkeit lähmt mich, so als hätte ich Drogen genommen. Ich will hier raus! Wann immer ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, eine Strategie zu entwickeln, legt sich bleierne Müdigkeit wie eine Decke über mich. Da höre ich wieder dieses hämische Lachen, so als würde sich das Wesen über sein ausgeklügeltes System freuen. Unermüdlich trippelt Schildkröte mit unglaublicher Energie weiter. Als würde sie mich wach halten wollen. Oben ist Kraft und Energie, unten totale Lähmung.

Was muss ich tun, um hier voranzukommen? Gibt es überhaupt einen Weg?
„Hilf mir doch!“ rufe ich nach oben zur Schildkröte. „Ich komme hier nicht weiter.“
Da steckt die Schildkröte ihren Kopf durch die Gallertschicht. „Dreh dich um!“ sagt sie.
Körperlich kann ich mich nicht umdrehen. Ich bin gelähmt. Irgendwie schaffe ich es, mich innerlich umzudrehen und schaue auf den Grund des Sees, auf dem ich liege. Der Boden ist tief schwarz. Ein Brodeln ist sichtbar, wie in einem Lavasee blubbert die Oberfläche. Das Blubbern wird stärker. Ich spüre, wie die Blasen meinen Körper bewegen, so als würden sie ihn von unten anstupsen. Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat und fühle mich im Stich gelassen.

Da sagt die Schildkröte: „Erinnere dich an deine Verbundenheit mit den Himmelsvögeln und den Frauen. Erinnere dich an das Gefühl, das du damals hattest.“
Ich spüre, dass das Brodeln unter mir stärker wird. Es fühlt sich jetzt an wie ein Vulkan, der immer heißer wird. Das einzige, was ich in meinem Körper noch spüren kann und das nicht von der Müdigkeit zugedeckt wird ist die Verbundenheit zwischen Herz- und Kehlchakra. Je mehr ich ihr Raum gebe, umso heißer wird es unter mir, und der Druck im Vulkan steigt. Ein Ausbruch steht kurz bevor. Schlagartig wird mir klar, dass keine von uns diesen Ausbruch überleben wird. Alles wird zerstört werden. Und doch ist es so, dass genau das passieren muss. Es ist der einzige Weg, den Wahnsinn zu beenden.

Ich spüre meinen Herzschlag. Kann alle Herzen schlagen spüren, wie ein großer, gemeinsamer Herzschlag. Es ist klar, dass keine der Frauen diesen Zustand noch länger erträgt. Besser zu sterben, als ewig in dieser Lähmung gefangen zu sein. Die Schildkröte oben läuft immer schneller.

„Ich wüsste gerne, wer du bist“, frage ich in die Dunkelheit hinein.
„Spürst du das?“
Eine Welle von eiskaltem Hass schwappt mir entgegen. Die brodelnde Hitze unter mir wird durch den Hass noch mehr geschürt. Die beiden Energien gehen eine kraftvolle Verbindung ein.

Die Blasen unter mir sind größer geworden und haben sich wie Ballons über mich gewölbt. Durch die Blasen hindurch sinke ich eine Ebene tiefer. Dort ist es total dunkel. Ich bin schwerelos. Kann mich endlich wieder bewegen. Es ist, als wäre ich in einer anderen Welt gelandet. Da stößt meine Hand im Dunkeln an etwas - und im nächsten Moment wird sie von einer anderen Hand ergriffen. Ich bin nicht mehr isoliert! Ich spüre die Verbindung zu den Frauen wieder, die genauso wie ich durch den Raum schweben. Jetzt ist eine weitere Hand da, ich ergreife sie und es wird  langsam heller. Immer mehr kommen zusammen, eine nach der anderen. Aber es sind nicht die Frauen vom Seeufer, sondern Lichtwesen ohne festen Körper. Sie bilden einen großen Kreis und halten sich an den Händen. Ich bin eine von ihnen. Die Dunkelheit hat sich aufgelöst, und gemeinsam stoßen wir wieder nach oben.

Mir wird klar, dass mein Körper die ganze Zeit am Grund des Sees liegen geblieben war und immer noch erstarrt da liegt. So wie ich nun mit meinem Bewusstsein wieder in meinen Körper zurück kehre, erstarren auch alle anderen Frauen, als sie ihn ihre Körper zurückkehren. Aber etwas hat sich verändert: die Blitze im Wasser sind jetzt Stangen und haben ihre lähmende Wirkung verloren. Langsam und vorsichtig setze ich mich auf und sehe, wie alle anderen es ebenso machen. Ich bin gewachsen und stoße mit dem Kopf an der Oberfläche des Sees an. Die Stäbe, die sich aus den Blitzen geformt haben, sind klein wie Streichhölzer und sinken zu Boden. Mit meinen Handflächen drücke ich von unten gegen die Schicht, die immer noch die Oberfläche des Sees bedeckt. Sie dehnt sich wie ein Luftballon, gibt nach. Ich stehe auf und drücke mit aller Kraft gegen die Schicht. Doch es geht nicht weiter. So geht es nicht, also frage ich Schildkröte, was ich tun soll. Sie sagt, dass ich zum Seeufer kommen soll, wo sie steht. Ich wachse weiter und fülle den See mit meinem Körper mittlerweile beinahe ganz aus. Ich fühle mich wie ein Baby, das geboren werden will. Bloß wie?
„Du brauchst gar nichts tun“, sagt die Schildkröte, „leg dich einfach hin.“


© Pawel Jonka

Ich wachse weiter, und je größer ich werde, umso dünner wird die Schicht. Es ist schon ziemlich eng. Ich will raus! An die Luft und ans Licht.

„Erinnere dich an die Verbundenheit“, sagt die Schildkröte.
Da spüre ich ein Ziehen am Scheitel. Eine magnetische Kraft, die mich nach oben zieht. Ein Spalt öffnet sich, und ich werde hinaus gezogen. Alles passiert ganz sanft. Schon sitze ich am Ufer, neben mir die Schildkröte und vor mir liegt dort, wo eben noch der See war, der Rest der Haut, die einst den See bedeckte in einer Mulde.

„Das hast du gut gemacht!“ sagt die Schildkröte.
Ich bin ganz ruhig und frage, was ich mit den Überresten machen soll.
„Ruf die anderen Frauen!“ sagt die Schildkröte.

Da kommen von überall her die Frauen aller Völker. Sie stellen sich rund um die Mulde auf und sammeln die Reste ein. Auch ich stelle mich in ihren Kreis und helfe ihnen. Es ist wie das monotone Wischen, das wir an dem verschlossenen See gemacht hatten, doch erst jetzt wird klar, was wir da eigentlich tun.  Als wir fertig sind liegt in der Mitte eine Kugel aus den Resten der Schicht.

Der See füllt sich wieder mit Wasser, und die Kugel schwimmt wie eine Luftblase an der Oberfläche des nunmehr türkis blauen Wassers. Die Frauen nehmen rundherum am Ufer platz. Auch das Baby sitzt am Ufer, allerdings ist es ungefähr dreißig Mal größer als die Frauen. Seine Füße baumeln ins Wasser. Es beugt sich herunter, hält seine Hand auf, und wie von selbst schwimmt die Kugel in seine Handfläche. Das Baby hebt sie nach oben, zeigt sie dem Himmel, steckt sie in den Mund und schluckt sie.

Nun lässt es sich in den See gleiten, woraufhin das Wasser über das Ufer tritt - so groß ist sein Körper! Dieses Baby hat die Frauen der Welt zur Mutter. Sie brauchen und nähren einander. Das Weltenbaby ist Träger alles Wissens und gibt dieses an die Frauen zurück.

Es lehrt die Frauen, wieder sich selbst zu lieben – ermöglicht ihnen, sich zu erinnern, wie es zu einer Zeit war, bevor das Patriarchat die natürliche Ordnung der Dinge aus dem Lot und Verwirrung über die Menschen gebracht hatte. Im Kontakt mit dem Weltenbaby finden die Frauen zurück zur Urquelle der Liebe in sich.

Zufrieden sagt Schildkröte: „Es ist gut so.“

Der dunkle Mond

Reise vom 28. August 07 

Ich bin im Körper des blau-weißen Vogels, mein Begleiter ist der rote Vogel aus dem Wurzelchakra. „Komm, wir fliegen zum Mond!“ sagt er.
© Judy Wise
Wir fliegen in Formation, er ein Stück über mir, schützend, leitend. Als wir den Mond erreichen landen wir und schütteln unsere Flügel aus. Ich schaue zur Erde und sehe: die Erde verdunkelt die Sonne. Sie ist vollkommen schwarz. Nun ist die Zeit gekommen ist, in der alle verborgenen Schatten auf der Erde befreit werden. Sie strömen aus ihr heraus und fliegen fließend in einer dunklen Masse Richtung Mond.

Aus der dunklen Seite des Mondes steigt eine uralte Frau empor. Sie hat langes, silbergraues Haar und trägt einen dunklen Umhang. Sie empfängt den Fluss der dunklen Schatten mit ausgebreiteten Armen, nimmt die dunkle Energie in sich auf. Das tut sie schon seit ewigen Zeiten so. Immer, wenn die Zeit der Finsternis kommt, erwacht sie und erfüllt ihre Bestimmung, Dunkles in sich aufzunehmen. Sie wirkt sehr ruhig, aber auch müde und ein wenig erschöpft.

Plötzlich zeigt sich eine große schwarze Spinne mitten auf ihrem Solarplexus. Langsam krabbelt diese über ihre Beine auf die Oberfläche des Mondes und lässt sich an einem Seidenfaden zur Erde herunter. Sie webt ihr Netz zielstrebig zwischen Mond und Erde. Immer dichter. Als es fertig ist, geht die alte Mondfrau langsam über das Netz Richtung Erde. Schritt für Schritt setzt sie müde und vorsichtig einen Fuß vor den anderen, so als wäre sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gegangen.

Je näher sie der Erde kommt, desto jünger wird sie. Ihre Haut strafft sich, ihr Haar wird golden und glänzt, und ihre Augen funkeln dunkel. Auf der Erde angekommen blickt sie zurück.

© Susan Seddon Boulet
Da löst sich der kreisrunde Teil der Erdoberfläche, aus dem heraus sich die Schatten gelöst hatten. Er schält sich ab und schwebt mitsamt der Mondfrau, dem Spinnennetz und der dunklen Seite des Mondes ins Weltall, verklumpt sich dort zu einer undefinierbaren dunklen Masse, die langsam durch den Raum driftet. Ich bleibe fassungslos auf der Erde zurück.

Dort wo die Schattenfläche war, befindet sich eine große, helle, spiegelglatte vollkommen leere Fläche.
„Das kann doch nicht sein!“ rufe ich zu dem roten Vogel. „Das kann doch nicht sein, dass das Dunkle sich einfach so abspaltet und als eigenständiges Etwas im Raum herum schwebt. Ich weigere mich, das zu akzeptieren! Ich weigere mich, zu akzeptieren, dass Hell und Dunkel voneinander getrennt sind!“

Der rote Vogel lächelt mich sanft an. Da bemerke ich, dass sich die blaue und die weiße Körperhälfte in mir, die ich mittlerweile auch als Tag- und Nachtqualität erkannt habe, zu vermischen beginnt. Ganz fein laufen die Farben ineinander. Es scheint als würde aus der Vermischung der Qualitäten in mir Energie entstehen, die sich prickelnd und quirlig anfühlt. Auch mein Federkleid verändert seine Farbe und ich wachse, werde größer. Das Blau und das Weiß mischen sich zu einem Nachtsilber. War ich zu Beginn noch halb so groß wie der rote Vogel, bin ich nun auf Augenhöhe mit ihm.

Hier stehe ich - auf dem hellen Flecken der Erde und erkenne: der Mond ist ein Teil der Erde! Schon beginnt er, sich Richtung Erde zu bewegen bis er sich genau an der Stelle mit ihr wiedervereinigt, aus der das Dunkle heraus gebrochen war.

Was passiert, wenn Hell und Dunkel nicht mehr getrennt sind?

8. November 2015

Die Wurzel des Ärgers

Reise vom 27. August 07 nach dem Besuch bei einer Frauenärztin, die mir den Befund "PAP 4" mitteilte, ohne mir in irgendeiner Form psychologische Unterstützung, Begleitung oder Zuspruch anzubieten. Stattdessen schwang sie verbal die Angstkeule und drängte mich, so schnell wie möglich einen OP-Termin zu vereinbaren. Ungefragt entnahm sie eine Biopsie und war vollkommen verständnislos, als ich sie unter Schock fragte, wie sie so etwas ohne mein vorheriges Einverständnis tun könne. Sie meinte, das sei das Standard-Vorgehen bei dieser Diagnose. 

Ich bin in meinem inneren Zuhause. Alle Tiere sind da.
„Leg dich auf meinen Rücken,“ lädt mich  Schildkröte ein. Dankbar nehme ich ihre Einladung an, fühle mich todmüde.
„Wegen deiner Müdigkeit und Erschöpfung sind wir hier,“ sagt die Eule und schon leuchtet ihr Brustkorb hell auf und Lichtstrahlen aus ihrem Herzen suchen mein Herz und dringen sanft in mich ein. Meine Muskeln entspannen sich und ich sinke ein, spüre den Halt, den mir Schildkröte gibt.

Nach und nach leuchten die Herzen aller Tiere auf und ich empfange das Licht, das aus allen Richtungen auf mich einströmt. Weißer Elefant, Puma, Herz-Pferd und Grizzly leuchten aus ihren Herzen. Der rote Vogel hat sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet und strahlt mit seinem ganzen Körper kraftvoll in meine Richtung. Nun beginnt auch die Schildkröte unter mir zu leuchten.

Dankbar nehme ich dieses Geschenk an. Ich spüre, wie meine Zellen sich öffnen und durstig das Licht trinken.Es ist als würde ich feine Bewegungen in jeder meiner Zellen bis in die Knochen hinein wahrnehmen können. Es tut sehr gut, mich dem hinzugeben. Ich spüre Frieden in mir und um mich herum und weiß, ich bin am richtigen Ort. Es gibt nichts zu tun außer hier zu sein.

Lange liege ich so umringt von den Tieren und bin in Frieden. Ganz langsam steigt leise ein Gefühl in mir hoch, unscheinbar erst, doch irgendwann nicht mehr übersehbar: Ärger sticht in meinem Bauch mitten in die wohlige Wärme des Lichtes. Ärger über die Frauenärztin, die, ohne mich überhaupt zu fragen eine Biopsie meines Gebärmutterhalses entnommen hatte, Ärger darüber, dass sie mir nicht einmal in die Augen gesehen hatte, als sie mir die Diagnose "PAP 4" mitteilte, sondern wie beiläufig in ihren Laptop, der zwischen uns stand gestarrt hat und Texte eintippte. Spitzer, scharfer, kantiger Ärger macht sich in mir breit und schneidet in meinen Bauch und Unterleib, wird stärker und mächtiger und füllt mich bald ganz aus.

© Renée Delâge
 Puma meldet sich zu Wort: „Der Ärger hat viele Schichten und es nicht immer gut, ihn so tief in dich hinein zu lassen. Du hast dich so viel geärgert in deinem Leben. Immer wieder. Oft bezieht sich dein Ärger auf etwas in der Vergangenheit. Wenn du daran festhältst ist es, als würdest du dir eine Fußfessel anlegen, die dich fixiert.“

Ich bemerke, dass da tatsächlich eine Eisenkette an meinem Bein hängt. Erschrocken versuche ich, sie loszuwerden und es kostet mich viel Kraft, sie abzuschütteln. Das Licht, das die Tiere immer noch auf mich scheinen hilft. Auch die Wärme bewirkt, dass sich das Gefühl in mir nicht mehr so spitz anfühlt, als würde Schaumgummi um die Ecken und Kanten gelegt werden. Das Gefühl des Ärgers wird langsam dünner bis es fast nicht mehr spürbar ist. Die Eisenkette ist von Rost zerfressen und zerbröckelt.

„Warum halte ich mich immer wieder so stark am Ärger fest?“ frage ich Puma.

Da sehe ich plötzlich meinen Vater, wie er sich ärgert und in seinem Zorn vor sich hin zu schimpfen beginnt. Ich sehe, dass sein Ärger rote Energielinien in seinem Körper bildet. Diese bewirken, dass er sich lebendig fühlt, so als wären sie Stromstöße, die ihn am Leben erhalten. Für ihn selbst ist das ganz vertraut und natürlich.

Dann sehe ich meine Mutter.Bei ihr ist es ganz anders. Schnell steigert sich ihr Ärger in Zorn, Wut und schließlich Hass. Eine feuerrote Energie, die wie ein Vulkan ausbricht und ein Ziel im außen braucht. Während die Energie des Ärgers in meinem Vater im geschlossenen System seines Körpers in Bewegung kam, brauchte die Energie meiner Mutter ein Ziel. Und dieses Ziel war meistens ich. Es traf mich mit voller Wucht. Der Ausbruch konnte jederzeit, vollkommen unvorhersehbar passieren; ja er musste passieren weil der Druck in ihr sonst zu groß wurde. Es war vollkommen egal, wer das Ventil öffnete – der Druck musste raus.

„Und wie wirkt die Energie des Ärgers in mir?“ frage ich weiter.
„Was in dir wirkt sind Abfälle, Reste, Ablagerungen.“
Er zeigt mir einen Haufen voller Glasscherben. Das heilende Wasser fließt daran vorbei, nimmt immer wieder einzelne Scherben mit. „Das Wasser sorgt dafür, dass die Scherben langsam abtransportiert werden. Da gibt es für dich nichts zu tun. Das passiert von alleine. Aber es ist sehr wichtig, dass du aufhörst, dir ins eigene Herz zu schneiden,“ sagt er in eindringlichem Ton. „Ich werde dir dabei helfen.“

Eine alte Angst, die mich schon lange begleitet hat löst sich auf, so als wäre sie ein harter Kern in meinem Rücken, der nun zu schmelzen beginnt. 
„Was ist das für ein Angstkern in meinem Rücken? Kannst du mir etwas darüber zeigen?“ frage ich Puma.

Da sehe ich mich als kleines Mädchen vor meiner Mutter stehen, gerade als sie einen ihrer Ausbrüche hat. Der rote Energieschwall bricht blitzschnell aus ihr heraus und trifft völlig ungebremst und mit voller Wucht das kleine Mädchen. Es haut sie fast um.

Als nächstes sehe ich mich als Mädchen mit meinem Vater. Bei ihm tritt die Energie in dünnen Rinnsalen in alle Richtungen aus und manche dieser Energiefäden treffen aus verschiedenen Richtungen die Kleine.

Der Schwall der Mutter war überwältigend, viel zu hell, zu intensiv und zu wuchtig, mit voller Zerstörungskraft. Aber er war zumindest eindeutig sichtbar – es war immer klar erkennbar, aus welcher Richtung er kam. Die Energie des Vaters hingegen war sehr verwirrend. Sie erreichte mich subtil aus unterschiedlichsten Richtungen, manchmal wusste ich nicht einmal, ob sie überhaupt von ihm kam.

Ich erkenne einen schwarzen Punkt auf der Haut zwischen den Schulterblättern des kleinen Mädchens.
„Darf ich ihn mir anschauen?“ frage ich sie vorsichtig.
Sie nickt mit dem Kopf und ich komme näher und berühre die dunkle Stelle behutsam mit meinem Finger. Da spüre ich Bewegung unter der Haut und im nächsten Augenblick öffnet sie sich und ein Schwall Spinnen, Würmer und anderes ekliges Zeug schießt mit vollem Druck heraus.

Ein Ventil ist aufgegangen.

Das Mädchen seufzt tief und sagt: „Danke. Danke!“

„Der Ärger, die Wut und der Hass deiner Eltern sind in dein Herz eingedrungen. Aber am allermeisten haben sie ihre Ängste und Panikgefühle an dein Herz abgegeben.“ Während er das sagt, wiegt Puma betroffen seinen Kopf hin und her und hat die Lider halb geschlossen.
Es tut so gut, dass das schwarze Zeug nun aus mir heraus fließen kann.

© Lucy Campbell
Ich nehme das kleine Mädchen mit zu meinem inneren Zuhause am See. Wir legen uns beide auf die Schildkröte und nun bekommt auch sie viel wärmendes Licht von den Tieren.

„Es ist vorbei. Es ist vorbei,“ flüstere ich ihr immer wieder ins Ohr und sehe, wie ihr Tränen der Erleichterung über die Wangen laufen. Sie hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass all das jemals aufhören würde.

Lange liegen wir auf der Schildkröte und erst als auch das kleine Mädchen wieder ganz aufgewärmt ist und seine Haut rosig schimmert, schwimmt Schildkröte mit uns an Land. Wir gehen zum großen roten Vogel, der seine Flügel ausbreitet und uns unter seine Fittiche nimmt, wo wir uns eng aneinander kuscheln. Ich kann mir keinen schöneren Ort auf der Welt vorstellen und spüre die tiefe Liebe, die uns verbindet.

„Möchte noch jemand von euch in die Mitte des Heilkreises?“ frage ich in die Runde.
Da meldet sich die Eule zu Wort: „Wenn es dir gut geht, geht es uns allen gut. Es geht um dein Glück. Dein Leben. Nichts anderes ist im Moment wichtig.“

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätten diese Worte in mir heftigen Widerstand erzeugt. Ich hätte gekontert, dass das Glück und die Zufriedenheit aller anderen viel wichtiger wären und ich an letzter Stelle stünde.
Aber nun spüre ich: Es darf mir gut gehen.

Eule gibt mir noch einen Tipp: „Sprich mit der Ärztin nicht am Telefon. Schreibe ihr einen Brief und schreibe ihr, was ihr Verhalten mit dir gemacht hat. Dann gibt es eine Chance, dass sie etwas versteht. Es geht nicht darum, deinen Ärger über sie in sie hineinzuspucken, so wie deine Mutter es mit dir getan hat. Wichtig ist, ihr Feedback zu geben damit sie wachsen kann, wenn sie dazu bereit ist.“

Ich bin sehr froh über die Klarheit der Eule und dass sie mich erleben hat lassen, worum es hier geht. Ich kann spüren, dass ich ohne ihre Hilfe einfach meine Angst vor der Krankheit, meine Wut und meinen Zorn in die Ärztin hinein gepflanzt hätte. Nun fühlt es sich viel stimmiger an, ihr mitzuteilen, was ich von ihr gebraucht und mir gewünscht hätte. Ich bin sehr erleichtert. Ein Telefonat mit ihr wäre eine Überforderung gewesen und ich hätte mich in eine falsche Tapferkeit hineingepuscht, die sich letztlich nur wieder gegen mich gerichtet hätte.

Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei Eule und Puma und den anderen und kuschle mich noch tiefer in die weichen Federn des roten Vogels, Seite an Seite mit der Kleinen.

Nach dieser Reise fand ich den Mut, einen persönlichen Termin mit der Ärztin zu vereinbaren. Im Gespräch konnte ich ruhig und klar vermitteln, wie sehr sie mich durch den körperlichen Übergriff der ungefragten Biopsie traumatisiert hatte. Ich vermittelte ihr, dass Frauen, die diese Diagnose erhalten, zu aller erst einmal Zuspruch brauchen, klare Informationen, was diese zu bedeuten hat und Zeit, die Nachricht zu verdauen und sich Unterstützung zu holen, um eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise treffen zu können. 

Die Ärztin begann daraufhin zu weinen und gestand mir, dass ihre Mutter an Gebärmutterhalskrebs gestorben sei und sie deren Tod noch immer nicht verkraftet hätte. Sie als "Spezialistin" hätte ihr doch das Leben retten müssen!

Ich empfahl ihr, dringend therapeutische Hilfe in dieser Sache zu suchen, bevor sie weitere Frauen aufgrund ihres eigenen Verdrängens der Angst, übergriffig und herzlos behandeln würde.