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tiefes wissen

Hier lesen Sie Geschichten der Heilung und des inneren Wachstums. Es sind erlebte Erzählungen von Menschen, die in ihre Tiefenimagination gereist sind und von den Wesen ihrer inneren Bilderwelt durch Wachstumsprozesse begleitet wurden. Lassen Sie sich berühren von der Vielfalt und Tiefe der hier geteilten Geschichten. Vielleicht wecken sie in Ihnen den Abenteuergeist, selbst auch einmal den Blick nach innen zu richten und auf die Reise zu gehen…

4. Dezember 2015

Der schwarze Wolf

Ich treffe den Wolf auf mehreren Reisen zwischen Juni und August 2015. Das gesamte Jahr 2015 über denke ich über berufliche Veränderungen nach, spiele die unterschiedlichsten Varianten durch, aber im letzten Moment gibt es immer etwas, das einen Ausbildungsbeginn oder eine andere Veränderung verhindert. Stattdessen begebe ich mich in Jobsituationen, die mich mehr und mehr von allem abschneiden, das mich ausmacht. Ich bin völlig frustriert und desillusioniert. Da begegnet mir der schwarze Wolf.

~Juni~
Ein schwarzer Wolf mit durchdringenden gelben Augen sitzt hinter einem Zaun. Der Wolf ist ziemlich frustriert und aggressiv, weil er eingesperrt ist. Er möchte gerne hinaus, kann aber nur hinter den Gitterstäben sitzen, das macht ihn fast wahnsinnig. Sein Gemütszustand spiegelt sich auch in seiner äußeren Erscheinung wider: Er ist groß, aber sehr mager, sein Fell ist stumpf, fast räudig. Trotzdem, wenn ich ihn anschaue, erhasche ich immer wieder einen Blick auf sein wahres Selbst - ich sehe den wunderschönen, starken, großen Wolf, der er eigentlich ist. Ich sehe ihn in seiner vollen Kraft, mit leuchtenden Augen, vital, mit glänzendem schwarzen Fell. Es macht mich traurig, ein so schönes Tier als Schatten seiner selbst zu sehen.
Jetzt bin ich gemeinsam mit dem Wolf hinter dem Zaun. Ich schaue mich um, hinter dem Zaun erstreckt sich eine unendliche Weite, bis zum Horizont ist keine Begrenzung zu sehen. Ich frage den Wolf, was ich für ihn tun kann. Er möchte nicht mehr eingesperrt sein, möchte seinen Weg gehen können. Aber der Zaun ist im Weg. Also schlage ich vor, es doch in der entgegengesetzten Richtung zu versuchen. Dort scheint es keinen Zaun zu geben. Aber der Wolf will nicht. Er möchte in die andere Richtung.
Als ich mich wieder zum Zaun drehe, fällt mir auf, dass dieser eigentlich kein Hindernis darstellt. Er ist nach links und rechts jeweils bloß ein paar Meter lang, es gibt keine Seitenteile, man kann also ganz einfach darum herumgehen und steht auf der anderen Seite. Als ich den Wolf darauf aufmerksam mache, schnaubt er nur verächtlich. Er will nicht um den Zaun herumgehen müssen, er will genau da ungehindert gehen können, wo der Zaun im Weg ist. Dort, genau dort, ist sein Weg. Natürlich könnte er um den Zaun herumgehen, aber er sieht nicht ein, warum er das tun sollte. Er findet es ganz und gar nicht fair, dass er einen Umweg machen sollte. Außerdem wäre es mit dem Umweg nicht mehr genau der Weg, den er gehen möchte.
Von ihm geht unglaublich viel negative Energie aus, auch mich zieht er damit hinunter. Jeder Vorschlag von mir wird abgeschmettert, er ist sehr zynisch. Ich habe den Eindruck, dass er im Grunde gar keine Hilfe will und gebe frustriert auf. Das macht mich gleichzeitig auch sehr traurig, weil ich den Wolf an sich mag, ich habe ihn vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen und würde ihn gerne in seiner ganzen Pracht erstrahlen sehen.

Ein paar Tage später treffe ich ihn nochmal. Er ist inzwischen doch um den Zaun herumgegangen. Ich freue mich riesig für ihn. Ich frage ihn, wo er jetzt hin möchte. Da ist ein Wald, in dem er gerne leben würde, wo er sich zu Hause fühlt. Er weiß, dass er dort hingehört, er kann ihn in seinem Herzen sehen. Aber er weiß nicht, wie er dort hinkommen kann. Ich glaube, wenn er den Ort kennt, wo er hingehört, wird er automatisch den Weg dorthin finden. Er muss nur aufbrechen und gehen. Aber sicherheitshalber schlage ich vor, die Eule zu rufen. Vielleicht kann sie aus der Luft einen solchen Wald sehen. Und tatsächlich gibt es ihn, allerdings in weiter Ferne. Die Eule zeigt uns die Richtung und mein wunderbarer Wolf läuft los.

~Juli~
Der schwarze Wolf sitzt mitten in einer Ebene. Der Zaun ist nicht mehr zu sehen, er muss also schon ein gutes Stück Weg zurückgelegt haben. Mein Wolf wirkt sehr niedergeschlagen und mutlos. Als ich nachfrage, sagt er, dass er sich völlig verloren fühlt. Um ihn herum ist nichts als grenzenlose Weite, er will da nicht sein. Er hat keinen Schutz, fühlt sich ausgeliefert. Sosehr er sich auch nach der Freiheit gesehnt hat, so hat er sich das nicht vorgestellt. Er hätte gerne einen Weg, den er sehen kann und ein sicheres Ziel. Ich frage ihn, was mit dem Wald ist, zu dem er unterwegs war. Er schüttelt nur traurig den Kopf und sagt, Was, wenn es den Wald gar nicht gibt? Wenn er Kilometer um Kilometer läuft, aber nie hinkommt? Immerhin gibt es nichtmal einen Weg dorthin, nur eine ungefähre Richtung. Er sagt, er hätte den Zaun nicht verlassen sollen. Da war er zwar nicht glücklich, aber er wusste wenigstens, wo er war, er hatte einen Bezugspunkt. Er versteht nicht, warum er keinen Weg haben kann. Die anderen Tiere haben doch auch ihre Aufgaben, ihren jeweiligen Bereich. Aber um ihn herum ist nichts als Weite, kein noch so kleiner Bezugspunkt am Horizont. Ich finde es traurig, dass ich ihm nicht helfen kann, dass nun alles so geworden ist, obwohl er doch anfangs ziemlich euphorisch war. Ich fühle mich genauso hilflos wie er, ich weiß auch nicht, wie es weitergehen kann. Als wir so nebeneinander stehen, verschmelzen unsere Gefühle zu einem großen Ball aus Hilflosigkeit und Frustration.
Der Wolf sagt, es wäre toll, wenn er den Ort finden könnte, an dem er er selbst und stark sein kann. Aber was, wenn er ihn nie findet? Ich frage ihn, ob er sich erinnern kann, wann er das letzte Mal an diesem Ort gewesen ist, aber er glaubt, noch nie dort gewesen zu sein. In seiner Vorstellung schon, aber real war er noch nie an so einem Ort. Vielleicht gibt es diesen Ort gar nicht und vielleicht wäre es deshalb besser, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden. Ja, vielleicht wäre es besser, diese Vorstellung aufzugeben und stattdessen zu sagen, es ist gut da, wo er jetzt ist. Jetzt ist der Zeitpunkt wo wir, der Wolf und ich, diese Entscheidung treffen müssen: entweder weiter nach einem Ort suchen, der vielleicht nur in der Vorstellung existiert, oder akzeptieren, was jetzt gerade ist und nichts mehr wollen. Ich finde, er hat Recht, es ist tatsächlich an der Zeit. Ihm ist egal, wofür wir uns entscheiden, er möchte nur ein bisschen mehr innere Ruhe und Frieden haben für einen längeren Zeitraum. Er kann nicht mehr, fühlt sich so getrieben. Ich dagegen fühle mich völlig unfähig, irgendetwas zu entscheiden. Ich frage ihn, ob wir nicht einfach da bleiben sollen, wo wir grade sind. Nur für eine Weile, dass wir durchschnaufen und einen klareren Kopf kriegen können. Aber mein Wolf will das nicht, es ist heiß und unangenehm hier. Außerdem hat er das Gefühl, dass er sich für eine Richtung entscheiden muss. Aber dieses Müssen geht ihm auf die Nerven, er fühlt sich dadurch unglaublich unter Druck gesetzt, gehetzt, getrieben. Und er möchte nicht mehr sinnlos in eine Richtung laufen. Also erwartet er von mir, dass ich jetzt eine Entscheidung treffe. Ich finde das nicht fair, und auch nicht sinnvoll. Ich möchte erstmal hierbleiben und mich ein wenig einrichten.
by Joe B. Borman
Ich versuche folgendes: Ich stelle mir einen Baum vor, genau da, wo wir grade sind. Er ist groß, man kann sich gut anlehnen, und mit seiner ausladenden Krone schützt er uns vor der Sonne. Rundherum wächst weiches Gras. Ich wünsche mir, dass wir genau diesen Platz jetzt hier haben und es funktioniert tatsächlich: Wolf und ich sitzen jetzt unter einem großen Baum auf weichem Gras. Der Platz ist nicht groß, aber ausreichend, um ein wenig bleiben und zur Ruhe kommen zu können. Mein Wolf legt sich erleichtert nieder, unter diesen Umständen können wir bleiben. Aber er ermahnt mich, dass ich nicht vergessen darf, dass dieser Platz hier eigentlich nicht real ist, er wird also nicht ewig da sein für uns. Wir müssen hier was tun, dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir hier bleiben können. Er sagt, wir müssen finden, was wir sind - obwohl er nicht weiß, wie wir das machen sollen.
Mir kommt eine Idee: Er könnte Löcher graben und in jedes legen wir dann eine Vorstellung oder eine Eigenschaft, die von außen über uns gestülpt wurde, oder auch ein Erlebnis, das sich über unser wahres Selbst gelegt hat. Dann  graben wir die Löcher wieder zu. So könnten wir nach und nach alles ablösen, das nicht zu uns gehört, das uns daran hindert, wir zu sein. Ob uns das wohl weiterhelfen könnte? Wolf meint, das ist eine gute Idee! Er ist jetzt wieder ganz eifrig und wirkt ein wenig frischer. Wir sollen das regelmäßig machen, aber in Ruhe. Nichts überstürzen. Zuerst müssen wir ein wenig Ruhe finden, weil wir beide zu aufgewühlt sind, zu mitgenommen.
Das, was wir dem Boden anvertrauen wollen, muss genau angeschaut werden, es muss bewusst übergeben werden, auf rituelle Art.
Mein Wolf meint, dass er sich vermutlich erst auch an die neue Selbstverantwortung gewöhnen muss. Als noch der Zaun da war, konnte er einfach sagen: Ich würde ja, wenn ich könnte. Jetzt ist allerdings so viel Freiheit da und das ist sehr schwer auszuhalten für ihn. Das hat ihn wohl überfordert.
Ich finde es angenehm, jetzt hier ein wenig verschnaufen zu können, auch wenn es nicht auf  Dauer ist und wir zudem noch Arbeit zu erledigen haben.
Ich fühle mich so verbunden mit meinem Wolf. Und wieder sehe ich zwei Bilder von ihm: Das momentane, mit seinem räudigen Fell und der gehetzten Energie, die ihn umgibt. Und auf der anderen Seite das große, schöne, starke Tier. Ich würde es sehr schön finden, wenn er wieder zu dem stattlichen Tier werden könnte, das er eigentlich ist. Ich finde es so traurig, dass er so geworden ist. Wolf sagt, er kann sich nicht erinnern, wie das passiert ist. Er weiß nur, dass er sehr oft das Gefühl hatte, dass es vielleicht gar keinen Platz gibt für ihn und das, was er wirklich ist.
Aber jetzt möchte er sich einfach ein wenig ausruhen. Er ist zufrieden, dass wir einen Plan haben und einen Platz, wo wir bleiben können.

~August~
Ich habe den Wolf lange nicht gesehen. Jetzt treffe ich ihn in einer kargen, öden Landschaft. Er sitzt resigniert da, ist abgezehrt, dünn, sein Blick ist ganz gehetzt und glasig. Seine Pfoten sind blutig. Mir kommen die Tränen bei seinem Anblick. Er ist vor lauter Angst die ganze Zeit über gelaufen, ohne zu wissen, wohin. Er ist einfach gelaufen, immer weiter, obwohl er immer schwächer wurde. Ich mache mir riesige Vorwürfe, dass ich nicht nach ihm geschaut habe, dass ich nicht mehr für ihn da war und ihn beschützt habe vor seinen Ängsten, die ihn fast umgebracht hätten.
Ich bringe ihn in ein Waldstück, lege ihn auf weiches, kühles Moos, es ist ruhig, nur einige Vögel zwitschern in den Bäumen. Die Luft ist angenehm warm. In der Nähe entspringt eine Quelle, dort schöpfe ich Wasser für ihn, lasse ihn trinken, mache kühlende Umschläge für seine wunden Pfoten. Er ist furchtbar schwach, ich kann seine Rippen deutlich fühlen, wenn ich ihn streichle. Er kann seine Augen kaum offenhalten.
Ich sage ihm immer wieder, dass ich mich um ihn kümmern werde, dass er ruhig schlafen kann, weil ich aufpasse. Ich bin da. Alles wird gut. Ich bringe ihm immer wieder ein wenig Wasser und kühle seine Pfoten. Dann lege ich mich zu ihm und halte ihn fest, während er schläft.

Ein paar Tage später stirbt er. Er liegt ganz friedlich auf der Waldlichtung, als ich komme. Ich will nicht, dass er tot ist. Der Verlust schmerzt enorm, ich bin völlig aufgelöst. Ich will ihn nicht verloren haben, ich hätte so gerne gesehen, wie er ganz der wird, der er ist. Ich mache mir Vorwürfe, fühle mich schuldig an seinem Tod. Ich kann nicht glauben, dass es ihn nicht mehr gibt.
Während ich bei ihm sitze und seinen toten Körper streichle, höre ich plötzlich seine Stimme: Ich soll nicht traurig sein, wenn die Zeit reif ist, wird er wiederkommen. Aber ich glaube das nicht, das ist wahrscheinlich nur mein Wunschdenken, weil er mir jetzt schon unglaublich fehlt.

24.9.: Ich habe gekündigt und bin völlig fertig. Raffaella sagt, ich soll meine Bärin (Herzchakra) rufen, aber als ich zu meinen Tieren gehe, kommt sofort der Wolf. Er setzt sich neben mich und schaut ganz erwartungsvoll und unternehmungslustig zu mir auf, dann schaut er nach vorne, spitzt aufmerksam die Ohren und wedelt mit dem Schwanz.